26. Oktober 2018

Chronik-10: Die Kirchen

Chronik der Stadt Obertshausen von 1993
Obertshausen und Hausen im Strom der Zeit

Religionsgemeinschaften

von Historiker Dr. Jörg Füllgrabe

 

Religiöse Erscheinungsformen der Vorzeit

Religiöse Betätigung – in welcher Form auch immer – ist vermutlich so alt wie die Menschheit. Wie diese Vorstellungen allerdings ausgesehen haben, ist für uns kaum mehr nachvollziehbar, allein schon deshalb, weil für frühe Zeitstufen schriftliche Quellen nicht existieren. Es gilt, in dieser vorschriftlichen Zeit die Aussagekraft von Bodenfunden heranzuziehen. Hier sind für den Raum Obertshausen vor allem Grabfunde heranzuziehen, die aufgrund von Beigabensitten Zeugnis für eine nicht praktisch motivierte Beschäftigung mit dem oder der Toten ablegen und damit in den Bereich der Religion verweisen. Eindeutige Opferplätze sind bisher nicht bekannt. 1)

Für spätere indirekt schriftlich erschlossene Epochen gilt Ähnliches wie für die oben angedeuteten vorgeschichtlichen Perioden. Mit der jüngeren vorrömischen Eisenzeit verbinden sich in unserem Raum die Kelten und später lassen sich auch Germanen fassen. Für diese Völker besteht zwar der Vorteil, dass aus späterer Zeit Götternamen und -mythologien überliefert sind. Keltische oder germanische Tempel finden sich in der Gemarkung Obertshausens jedoch nicht. Gleiches gilt für die römische Zeit, aus der sich ebenfalls weder Tempel noch sonstige religiöse Denkmäler – wie etwa sogenannte Jupitersäulen – finden. Bedauerlicherweise gilt dies auch für die Zeit des religiösen Synkretismus, in der orientalische Kulte – so beispielsweise die Religion des Mithras oder das Judentum – im römischen Reich Verbreitung fanden. Obgleich die Möglichkeit besteht, dass unter den Römern hierzulande bereits Christen waren, lassen sich dazu keine gesicherten Aussagen treffen.

 

Anmerkungen:

1) vgl. W. Durant, Kulturgeschichte der Menschheit, Bd.1, s. 65ff.

2) vgl. F.R. Herrmann/A. Jockenhövel, Die Vorgeschichte Hessens, S. 261f. u. S. 295ff.; F. Le Roux-Guyonyach, Keltische Religion, S. 245ff.; L. Ejerfeldt, Germanische Religion, S. 277ff.

 

Die Christianisierung Mitteleuropas

Di Möglichkeit, dass das Christentum hierzulande seit römischer Zeit bekannt war, ist nicht von der Hand zu weisen, wenngleich nicht zu belegen. Dies gilt auch für die Missionierung der einheimischen Bevölkerung. Auch unter dieser mag es bereits einzelne Christen gegeben haben, die durch Einzelbekehrung den neuen Glauben annahmen, Beweise für diese Tatsache gibt es allerdings ebenso wenig, wie die Frage nach der Art des

Christentums eindeutig zu beantworten ist. Es ist durchaus möglich, dass auch in unserem Raum arianische Christen gelebt haben, bevor der Katholizismus den Sieg davontrug. 1)

Trotz der weitreichenden historischen Folgen aus der Annahme des Katholizismus durch die Franken waren die Würfel noch nicht endgültig gefallen. Gerade in Randgebieten des Frankenreiches , wie das bei Hessen der Fall ist, lebten älter vorchristliche Vorstellungen noch längere Zeit weiter oder vermischten sich mit dem christlichen Glauben zu religiösen Erscheinungen, die in der Fachwelt als „Synkretismus“ bezeichnet werden. 2)

 

Anmerkungen:

1) G. Haendler, Die abendländische Kirche im Zeitalter der Völkerwanderung, S. 36ff.

2) vgl. K. Heinemyer, Die Ausbreitung des Christentums und der heilige Bonifatius, S. 38ff.

 

Der Katholizismus

Mit der Annahme des katholischen Christentums durch den fränkischen König Chlodwig 1) im Jahre 496 waren weltpolitische Weichen gestellt, deren Folgen bis heute spürbar sind. Von den Germanenreichen der Völkerwanderung hatte das Frankenreich eben in erster Linie deswegen Bestand, weil die fränkischen Eroberer denselben Glauben wie die unterworfenen Provinzialrömer hatten, und damit ein grundsätzlicher Gegensatz

entfiel. Die arianischen Ostgoten in Italien beispielsweise hatten diesbezüglich so große Probleme, dass hierin ein wesentlicher Grund für ihr Scheitern zu sehen ist. Das wird vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache deutlich, dass ihre westgotischen Vettern in Spanien nach dem Übertritt zum Katholizismus ihre Herrschaft ungehindert bis zum Einfall der Araber ausüben konnten. Es kann also davon ausgegangen werden, dass der Schritt Chlodwigs eher politischem Kalkül als religiösem Bedürfnis entsprang.

In unserem Bereich wird es unter der fränkischen Herrschaft natürlich auch das katholische Bekenntnis als Staatsreligion gegeben haben. Allerdings dürften die Ausübung und auch die Vorstellung dieses Katholizismus mit verschiedenen Vorstellungen durchsetzt gewesen sein, die nach heutigem Verständnis mit Christentum nichts zu tun haben. Hinweis für diese Durchmischung bieten beispielsweise Funde aus dem fränkischen Reihengräberfriedhof von Frankfurt Nieder­Erlenbach. Hier finden sich nicht nur die christlichen Grabsitten widersprechende Beigaben sondern auch christliche und nicht christliche Symbole in ein und demselben Grab. Offenbar hatte man hierzulande oft den neuen Glauben angenommen, ohne den alten Vorstellungen vollends abzuschwören. 2)

Diese Verhältnisse, die sozusagen eine religiöse „Grauzone“ widerspiegeln, hielten gewiss eine längere Zeit an. Allein die Tatsache, dass in den verschiedenen althochdeutschen Taufgelöbnissen der Täufling wiederholt altheidnischen Gottheiten abzuschwören aufgefordert wird, macht deutlich, dass die alten religiösen Vorstellungen durchaus noch lebendig waren. 3)

Dies gilt- die oben angesprochenen Taufgelöbnisse waren im zehnten und elften Jahrhundert noch „aktuell“ – demnach sogar für eine Zeit, die nach dem Wirken des Bonifatius lag, der ja gemeinhin mit dem Attribut „Apostel der Deutschen“ versehen wird. Wobei allein das Wirken dieses Kirchenmannes in einer Zeit, die prinzipiell bereits das Christentum als fränkische Staatsreligion kannte, auf den geringen Tiefgang entsprechender Bekehrungen schließen lässt. Bonifatius hat sicherlich auch im Rhein-Main-Gebiet gewirkt, genaueres 1äßt sich hierüber allerdings nicht aussagen, weniger noch, ob sein Wirken den Raum Obertshausen berührt hat. 4)

Ein wesentlich weitergehender Bekehrungsansatz wurde allerdings erst im Zuge der weiteren mittelalterlichen Entwicklung gesetzt. Hierbei gilt es, sich vor Augen zu halten, dass die gesellschaftliche Normensetzung im Sinne der neuen Religion erst allmählich erfolgen konnte, vor allem in Randgebieten – zu denken sei hierbei an den sächsischen und slavischen Grenzraum muss weiterhin mit vorchristlich-heidnischen Kulten gerechnet werden, aber auch im Kernraum des fränkischen und später deutschen Reiches lebten – und leben! zumindest Rudimente alter Kultpraxis fort. Diese wurden von Seiten der Kirche entweder bekämpft und als Aberglaube verdammt oder – wenn dies nicht möglich war – in den kirchlichen Bereich übernommen. Dies ist einerseits beim Bau von Kirchen an der Stelle heidnischer Kultplätze der Fall, gilt aber auch bei der Umwandlung alter Kultfeste in christliche Feiertage.

Mit dem Eigenkirchensystem des frühen Mittelalters war das Interesse des jeweiligen Herrschers verbunden, für ein zumindest nominell christliches Leben seiner Untertanen Sorge zu tragen. Dieses System barg allerdings auch die Gefahr der „Verweltlichung“ in sich, weshalb es immer wieder zu Reformbewegungen kam, die meist aus klösterlichem Umfeld hervorgingen. Ein Höhepunkt dieser mittelalterlichen Auseinandersetzung war der sogenannte „Investiturstreit“ zwischen Papst und Kaiser auf dessen Höhepunkt Heinrich IV. gebannt wurde und nur durch seine berühmten           „Gang nach Canossa“ wieder in die Gemeinschaft der christlichen Gläubigen zurückkehren konnte.

 

Anmerkungen:

1) K . Kupisch, Kirchengeschichte I, S. 133

2) vgl. E. Wamers, Schmuck des frühen Mittelalters, S. 13 sowie E. Wamers , Frühes und hohes Mittelalter in Frankfurt am Main , S. 65f.

3) vgl. D. Kartschoke, Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter, S. 102ff.

4) vgl. G. Haendler, Die lateinische Kirche Zeitalter der Karolinger, S. 52ff.

5) vgl. K. Kupisch, Kirchengeschichte II, S. 12ff.

 

Die katholische Kirche in Obertshausen

Die Möglichkeit, dass eine stringente Missionierung unseres Gebietes durch die Mönche des Benediktinerordens erfolgte ist entgegen der immer wieder kolportierten Ansicht 1) nicht ohne gewisse Schwierigkeiten zu akzeptieren. Die Benediktiner waren eine Ordensgemeinschaft, die sich nicht aktives Nach­Außen-Wenden zum Ziel gesetzt hatte, sondern die „stabilitas loci“ führte eher zu einem weltabgewandten Dasein, das auch wenig auf die äußere Wirkung bedacht war. „Missions- und Kulturarbeit “ 2) waren den Benediktinern eben nicht so ohne weiteres eins. „Echte“ Missionsorden waren erst die Zisterzienser und Prämostratenser. 3)

Nach oben Gesagtem muss zwar mit mindestens einer früheren Christianisierungswelle gerechnet werden, über die Intensität dieser Bemühungen allerdings lässt sich zumindest vermuten, dass diese nicht besonders hoch und weitflächig gewesen war. Von daher ist es durchaus denkbar dass die Seligenstädter Benediktiner – im Rahmen einer „inneren Mission“ des Raumes sozusagen – durch Beispielhaftigkeit und als „kirchliche Anlaufstelle“ der Festigung kirchlicher Institutionen dienten, ohne dass von ihnen die eigentliche Missionierung des Raumes ausgegangen ist.

Im Rahmen der grundsätzlichen Kirchenorganisation, die prinzipiell auf die Bemühungen des Bonifatius zurückgeht, gehörte Obertshausen in das Gebiet des Mainzer Bistums, dessen Aktivitäten in den nordwestlichen Raum hinein orientiert waren. An dieser Zuordnung hat sich bis heute nichts geändert. 4)

Im fünfzehnten Jahrhundert war Obertshausen eine Filiale der wesentlich älteren Pfarrei Lämmerspiel. Im Rahmen dieser Anbindung an Lämmerspiel waren die Obertshausener Gläubigen dem Erzdiakonat St. Peter und Alexander zu Aschaffenburg angeschlossen. 5)

Die enge Anbindung an Lämmerspiel hielt jedoch nicht für alle Zeit vor. Als im Jahre 1716 der Vorgängerbau der heutigen Herz-Jesu-Kirche, die St. Nikolauskirche errichtet wurde – ein in der Herz-Jesu-Kirche eingebauter Sandstein aus dieser älteren Kirche dokumentiert diese Jahreszahl – war dies allerdings mit Sicherheit nicht der erste kirchliche Sakralbau, der in Obertshausen errichtet wurde. Die Tatsache, dass es für die Obertshausener Kirche „seit unvordenklicher Zeit“ ein Taufsteinrecht gab, ist ein Hinweis, der diese Annahme untermauert.

Bauherr der Kirche von 1716 war Graf Erwin von Schönborn-Buchheim Wolfsthal aus Heusenstamm. Damit ist auch ein Wandel der kirchlichen Verhältnisse Obertshausens erklärbar. In dieser Zeit – genauer gesagt seit 1725- wurde die Obertshausener Gemeinde auch nicht mehr von Lämmerspiel sondern von Heusenstamm aus seelsorgerisch betreut. 6) Diese Trennung wurde vom Mainzer Erzvikariat vollzogen, wie aber unschwer einsichtig, ging sie auf das Betreiben des Grafen von Schönborn zurück, der ein gewichtiges Interesse daran hatte, eine seit 1664 dem Schönbornsehen Hause zugehörigen Untertanen auch geistlich an Heusenstamm zu binden. 7)

Die praktische Betreuung sah so aus, dass die Heusenstammer Kapläne und Pfarrer zum Gottesdienst und zur sonstigen praktischen Seelsorge nach Obertshausen kamen. Zum Unterhalt der entsprechenden Pfarr- und Kaplaneistelle wurde das Dorf Obertshausen herangezogen, durch eine testamentarische Verfügung trug allerdings auch die Gräfin Sophia von Schönborn­Buchheim Anteil an den entstehenden Kosten.

Das 1716 errichtete Gotteshaus wurde allerdings erst vierzig Jahre nach seiner Errichtung durch den Mainzer Weihbischof Nebel geweiht und dem Schutzpatron St. Nikolaus unterstellt. Die Glocke des Kirchleins wurde ebenfalls dem Schutz des Heiligen unterstellt. Kirchweihtag wurde dadurch damals der Sonntag nach St. Michael. Mit dem Vollzug der Konsekration sollte man eigentlich erwarten, dass ein reges kirchliches Leben eingesetzt habe.

Allerdings war dies offenkundig nicht so einfach. Bis 1860 wurde nur jeden dritten Sonntag im Monat Gottesdienst in der Obertshausener Filialkirche abgehalten. Das lag daran, dass der Bestand an katholischen Geistlichen begrenzt war, so dass es sehr schwer war, Vertretungen für gottesdienstliche Zwecke zu bekommen. In diesem Sinne war es ein Glücksfall, dass ein vor der französischen Revolution geflüchteter Pfarrer sich 1796 in Obertshausen niederließ. Da dieser aber bereits im Mai 1798 verstarb, hielt die gute geistliche Versorgung nur für knappe zwei Jahre an. 6)

Peinlich berührt uns heute die Tatsache, dass um die Hinterlassenschaften des Toten, der übrigens auf dem Friedhof beim Hochaltar begraben wurde, ein erbitterter Rechtsstreit zwischen Erzbistum und Gemeinde ausgebrochen sein soll. Anlass hierfür war die Rechtsunsicherheit, ob der Tote als Fremder sozusagen Privatmann gewesen war oder ob es sich um einen Priester des Erzbistums gehandelt hat. Immerhin ging es um eine silberne Uhr, ein Paar Silberschnallen, einen kurzen Rock aus schwarzem Tuch, eine schwarze, abgetragene Weste und eine ebensolche Hose, zwei Hemden, vier Taschentücher, ein Paar abgetragene schwarze Strümpfe (die später den Armen gegeben wurden), einen blauen Tuchmantel ein Hut und ein Brevier. 7)

Neben solchen Auseinandersetzungen scheint es fast kaum glaublich, dass es tatsächlich zu einer seelsorgerliche Versorgung der Obertshausener Bevölkerung gekommen ist. Allerdings waren auch weiterhin die historischen Zeitumstände – so negativ sie sicherlich für die direkt Betroffenen auch gewesen sind – für die religiöse Versorgung der katholischen Gemeinde in Obertshausen günstig. Zwei Mönche aus dem säkularisierten Kloster Ilbenstadt etwa waren – nachdem sie in Heusenstamm Unterkunft gefunden hatten – bis 1818 dem dortigen Pfarrer bei der Erfüllung seiner seelsorgerischen Pflichten behilflich, wovon natürlich auch die Gläubigen in Obertshausen profitierten. 10)

Diese positive Wendung der Dinge hatte zur Folge, dass von Januar 1803 ab in der Filiale Obertshausen an jedem Sonntag Gottesdienste gehalten wurden. Reguläre Kirchenbücher finden sich in Obertshausen ab 1819. Eine deutliche Verbesserung der kirchlichen Verhältnisse ist also zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu verzeichnen.

Allerdings wurde die grundsätzliche Abhängigkeit Obertshausens von Heusenstamm durch diese Entwicklungen nicht aufgehoben, sondern lediglich die Folgen dieser „Sekundärposition“ gemildert. Das Ziel konnte nur in der Errichtung einer eigenständigen Pfarrei Obertshausen liegen, die dann durch die Bestallung eines eigenen Geistlichen von der Heusenstammer „Vorherrschaft“ frei geworden wäre. Die Forderung nach einer eigenständigen Pfarrerstelle wurde nicht zuletzt durch die Bevölkerungsentwicklung unterstützt. Zwischen 1782 und 1834 hatte sich die Bevölkerung Obertshausens mehr als verdoppelt. 11)

Aufgrund dieses Bevölkerungswachstums wurde versucht, in Obertshausen eine eigene Pfarrstelle einzurichten, also die Selbständigkeit der katholischen Gemeinde angestrebt. Allerdings war die Schaffung einer solchen.

Pfarrstelle an die Dotierung gebunden, die durch ziviles und kanonisches Recht vorgeschrieben war. In diesem Zusammenhang war die Stiftung von Mitteln durch Dr. Peter Bruder, der auch eine Pfarrchronik der katholischen Gemeinde verfasste, ein nützlicher Beitrag zur Erreichung des Ziels der Selbständigkeit. 12)

Allerdings bedurfte es weiterer Anstrengungen, bis das Ziel einer eigenständigen katholischen Gemeinde in Obertshausen erreicht war. Ein Mittel zu diesem Zweck war in im Jahre 1890 durch den Heusenstammer Kaplan Malzi gegründeter Bauverein. Bis zum Jahre 1904 konnte dieser Bauverein die jährliche Zinssumme aufbringen, die erforderlich war, um eine Pfarrei einzurichten. Die Eigenständigkeit der Obertshausener katholischen Gemeinde greifbare Nähe gerückt. 13)

Am 1. Januar 1905 wurde aufgrund einer Genehmigung des hessen-darmstädtischen Großherzogs Ernst Ludwig durch den Mainzer Bischof Dr. Georg Heinrich Kirstein die katholische Gemeinde Obertshausen nach kanonischem Recht in die Selbständigkeit erhoben. Der erste Pfarrer der neuen eigenständigen Kirchengemeinde Obertshausen war der vormalige Pfarrverwalter Michael Eich. 14)

Dem im Jahre 1910 erfolgten Neubau eines Pfarrhauses und dem Erwerb eines Gebäudes für die „Schwestern von der Göttlichen Vorsehung“ folgte in den Jahren 1911/12 die Errichtung der neuen Kirche. Dieses im Neo­Barockstil konzipierte Gotteshaus wurde am 15.6.1912 von Bischof Kirstein zu Ehren des Herzen Jesu und des heiligen Nikolaus geweiht. Die Nikolauskirche besitzt etwa 600 Sitzplätz und beherbergt in ihrem Turm die 1898 gegossene Nikolausglocke. 15)

Pfarrer Eich verließ 1913 Obertshausen, wo er nicht nur durch seine Aktivitäten im Kirchenbau sondern nicht zuletzt auch durch sein Engagement gegen die „Gefahren des orthodoxen Marxismus“ (was immer darunter zu verstehen sein mag, da es in Obertshausen bestenfalls ein Minderheit „orthodoxer Marxisten“ gab) – „dessen Humanitätsmaske heute nur wenige täuschen kann“ 16) bekannt geworden war.

Ob Eich in die Reihe derjenigen katholischen Geistlichen gehört, deren antisozialdemokratische Agitation vom „Offenbacher Abendblatt“ immer wieder beklagt wurde, ist nicht zu ermitteln. Als Pfarrer von Bingen konnte Eich sich nach seiner Zeit in Obertshausen weiter der gemeindlichen Seelsorge widmen. Es ist bezeichnend und entbehrt nicht einer gewissen Ironie des Schicksals, dass Eich im Zusammenhang mit dem „Röhmputsch“ gesucht wurde und vor den nationalsozialistischen Häschern und nicht etwa „orthodoxen Marxisten“ aus der Stadt fliehen musste. 17)

Nachfolger Eichs wurde in den Jahren von 1913 bis 1947 Pfarrer Paul Kmietsch, der somit der zweite Geistliche einer eigenständigen katholischen Kirchengemeinde in Obertshausen wurde. Pfarrer Kmietsch wirkte also in Obertshausen während der Krisenzeit des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, der Zeit der Weimar-er Republik, deren Ende ebenfalls von schweren Krisen gekennzeichnet war und schließlich auch noch in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges.

Paul Kmietsch gehörte, nach Aussagen des nach dem Krieg einberufenen politischen  Ausschusses Obertshausen, 18) nicht der NSDAP an und war für diese auch nicht propagandistisch aktiv. Er war vielmehr als Nazigegner bekannt, was sich insbesondere in seinen Predigten niederschlug. Dass gerade in diesen schweren Zeiten sein geistlicher Rat besonders gefragt und notwendig war, kann mit Fug und Recht angenommen werden.

In seine Amtszeit fallen auch äußerliche Veränderungen des kirchlichen Erscheinungsbildes. Mit dem Ankauf von drei Hofreiten sollte Raum für den Bau eines Gemeindehauses und eines Pfarrsaales geschaffen werden. Der Kauf einer neuen Orgel im Jahre 1917 wie auch die 1923 erfolgte Anschaffung einer zweiten Glocke dienten der Gewährleistung der gottesdienstlichen Obliegenheiten. 19)

Die Schwierigkeiten, die die Kirche unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu durchleben hatte, gingen sicherlich über den Verlust der Glocke durch die Bedingungen des Krieges hinaus und können sich leicht vorgestellt werden. Inwieweit der Barbarismus dieses Systems auf das Leben innerhalb der katholischen Kirchengemeinde Obertshausens durchschlug, ist nur schwer abzuschätzen. Probleme gab es – die Parallelen in Hausen beweisen es – bereits bei der Durchführung von Prozessionen. Allerdings waren diese Schwierigkeiten auch in der Nachkriegszeit nicht automatisch beseitigt. Die amerikanische Besatzungsmacht machte ihrerseits strenge Auflagen etwa, was die Durchführung von Fronleichnamsprozessionen anging.

Mit Emil Neidig trat nach einer kurzen Übergangszeit, die von Pfarrer Philipp Kern als Pfarrverwalter ausgefüllt worden war, im Jahre 1947 der dritte katholische Pfarrer Obertshausens seinen seelsorgerischen Dienst an, der einen Höhepunkt in der Feier des Silbernen Priesterjubiläums im Februar 1959 fand. Neidig konnte die Arbeit seiner beiden Vorgänger unter günstigeren Bedingungen fortsetzen. Mit dem Abbruch der letzten noch um das Gotteshaus befindlichen Gebäude einher ging der Bau eines Gemeindezentrums mit Kindergarten, Schwesternwohnheim, Sanitätsraum, Jugendräumen, Räumen für das Kindergartenpersonal, der Seelsorgehelferin und für die Belange der Pfarrbücherei – mit modernen Worten: Die kirchliche „Infrastruktur“ wurde verbessert bzw. teilweise sogar erst eingerichtet. 20)

Die Renovierung des Pfarrhauses sowie zu Beginn der sechziger Jahre der Kirche selbst gehört ebenso zu dem durchgeführten Modernisierungsprogramm, das unter dem neuen Pfarrer angegangen worden war. Dabei wurde ein gewisser Aufwand betrieben, ging es doch darum, neben neuen Sakristeimöbeln und einem neuen Beichtstuhl das Gebälk der Seitendächer zu reparieren. Dabei mag es – zumindest was die finanzielle Belastung angeht – von Nutzen gewesen sein, dass bereits seit 1958 eine Heizung dafür sorgte, dass auch in der kalten Jahreszeit erträgliche Temperaturen gewährleistet waren, die es der Gemeinde ermöglichten, sich voll auf die gottesdienstlichen Handlungen zu konzentrieren.

Das seit 1954 installierte, aus vier Glocken bestehende, neue Geläute mag in eindrucksvoller Weise die Feierlichkeiten zum fünfzigjährigen Jubiläum der Pfarrkirche unterstrichen haben, das vom 15. bis zum 17. Juni 1962 begangen werden konnte. Das im Neo-Barock gehaltene Innere der Kirche wird den Feierlichkeiten den passenden Rahmen gegeben haben.

Am 8. Mai 1960 konnten die Schwestern der Ordensgemeinschaft von der Göttlichen Vorsehung das fünfzigjährige Jubiläum ihrer Schwesternstation in Obertshausen begehen. Ein Jahr später wurde an der Westseite der Herz Jesu Kirche eine neue Sakristei gebaut und die Kirche von außen renoviert. Die Kosten hierfür betrugen zusammen über 100.000 Mark. Am Fronleichnamsnachmittag des Jahres wurde überdies mit einem kleinen Sommerfest die Tradition des jährlichen Pfarrfestes begründet. 21)

Das Jahr 1962 war ebenfalls ein Jahr der deutlich hohen Ausgaben, die für die weiteren Renovierungsarbeiten in der Herz Jesu Kirche und ihren Nebengebäuden ausgeführt werden mussten. In diesem Zusammenhang entstand auch ein Büchereipavillon, der die Gemeindebücherei beherbergen sollte. Als weniger kostenintensiv aber dennoch sehr dauerhaft und effektiv erwies sich die durch Walter Kretschmer initiierte Gründung der Obertshausener Kolpingsfamilie, die bis heute Bestand hat und arbeitet.

Mit einem – noch vom Malteser Hilfsdienst Mainz ausgerichteten Erste Hilfe Kurs des Jahres 1964 wurde ein Fanal gesetzt, das sich mit der Gründung einer Ortsgruppe des Malteser Hilfsdienstes in Obertshausen, der ersten im Kreis Offenbach, logisch weiterentwickelte. Diese Gruppe ist immer noch aktiv unter andererem mit der Einrichtung „Essen auf Rädern“ und somit aus der sozialen Landschaft Obertshausens nicht mehr wegzudenken.

Im Jahre 1967 wurde eine alte Zusage des Jahres 1953 der Gemeinde Obertshausen an die katholische Kirchengemeinde betreffend eines Grundstückes für einen Kirchenneubau eingelöst. Durch die Einbeziehung der „Heusenstammer Pfarräcker“ gelang es, 7000 Quadratmeter für den Bau eines neuen Gemeindezentrums auszuweisen.

Ein Jahr später – 1968 – wurde durch die Wahl eines Pfarrgemeinderates eine Demokratisierung der katholischen Herz Jesu-Gemeinde vorangetrieben. Ein genauso wichtiges Ereignis war die ab 1. Juni 1968 wirksame Teilung der katholischen Kirchengemeinde Obertshausen in die beiden Pfarrbezirke Herz Jesu und Sankt Thomas Morus. Der Obertshausener Kaplan Hans Hix, später wurde er der erste Pfarrer der Gemeinde Thomas Morus, wurde beauftragt, den Bau eines Pfarrhauses mit vorläufigem Gottesdienstraum zu forcieren. 22)

Eine Erweiterung der seelsorgerischen Versorgung der katholischen Bevölkerung Obertshausens erfolgte im Jahre 1968, als mit der Kirche Sankt Thomas Morus eine zweite Pfarrkirche in Obertshausen errichtet wurde. Eine Teilung der Obertshausener Katholischen Gemeinde war freilich bereits von Pfarrer Neidig angeregt worden. Die Bevölkerungszunahme war zu deutlich geworden. Noch bevor der eigentliche Kirchenbau fertiggestellt war, feierten die katholischen Gläubigen ihre Gottesdienste im vorab fertiggestellten Pfarrsaal. 23)

Zusammen mit dem Pfarrhaus entstanden die kirchlichen Gebäude an der Franz-Liszt-Straße unter der „Regie“ des ersten Pfarrers von St. Thomas Morus, Hans Hix. Dieser übte sein Amt bis zum Jahre 1981 aus und wurde von Herbert Schega abgelöst, der seine Hauptwirkungsgebiet auf die Jugendarbeit legte. Unter der Ägide Herbert Sehegas wurde eine „lebendige Gemeinde“·geschaffen, was auch deshalb vonnöten war, weil die Kirche Thomas Morus in einem mit Neubauten durchsetzten Gebiet liegt, also nicht auf die gewachsene Struktur wie „Herz Jesu“ zurückgreifen kann.

In der Zwischenzeit war allerdings mancherlei geschehen. Tief betrauert verstarb der zweite Obertshausener Pfarrer Paul Kmietsch am 24. Oktober 1973. Beigesetzt wurden seine sterblichen Oberreste auf dem alten Friedhof am Rembrücker Weg. 24)

Ein positiveres Ereignis im Jahre 1973 war die Gründung einer eigenständigen Jugendgruppe, bei deren Entstehung Pfarrer Neidig „Geburtshilfe“ leistete. Der Name dieser Gruppe war Pfarrjugend Herz Jesu, eine eigene Satzung rundete die Gründung dieser Gruppe ab. Unter der Leitung von Simone Weinmann und Winfrid Wilz wuchs die Gruppe rasch an und existiert bis heute. 25)

Am 26. Februar des Jahres 1984 konnte Emil Neidig, dritter Pfarrer der selbständigen Kirchengemeinde Obertshausen, sein Goldenes Priesterjubiläum feiern, seit seiner Übernahme der Obertshausener Herz-Jesu­ Gemeinde im Jahre 1947 waren siebenunddreißig Jahre vergangen. Knapp eineinhalb Jahre später, am 31. Juli 1985, wurde Emil Neidig in den Ruhestand versetzt. Seinen Abschiedsgottesdienst hielt er am 28. Juli 1985. 26)

Der vierte Pfarrer der Pfarrei Herz-Jesu wurde mit Wirkung ab ersten August 1985 Herbert Schega, der bereits seit 1. August 1981 Pfarrer der zweiten katholischen Kirchengemeinde Obertshausens, Sankt Themas Morus, war. Im gleichen Jahr wurde mit dem Bau eines eigenständigen Pfarrsaales begonnen. Im Oktober wurde mit dem Einbau einer neuen Heizung für die Herz­Jesu-Kirche begonnen.

Am 26. April 1986 wurde der neue Pfarrsaal durch Emil Neidig und den „amtierenden“ Pfarrer Herbert Schega geweiht. Bei der anschließenden Feier wurde „Das Apostelspiel“ von Max Mell durch die wiedergegründete Laienspielschar zur Aufführung gebracht. 27)

Am sechzehnten November des Jahres 1986 ging eine Ära zu Ende, die im Jahre 1910 begonnen hatte. An diesem Sonntag wurden die letzten Schwestern der im gleichen Jahre aufgelösten Ordensgemeinschaft Von der göttlichen Vorsehung durch die Herz-Jesu-Gemeinde verabschiedet. Mit der Auflösung dieser Schwesternstation verlor der kirchliche soziale Bereich in Obertshausen einen wichtigen Pfeiler. 28)

 Am 15. Juni des Jahres 1987 konnte die Gemeinde der Herz-Jesu-Kirche das fünfundsiebzigjährige Jubiläum der Kirchweihe feiern. Viel war in diesen 75 Jahren geschehen, was sich die Erbauer der Kirche sicherlich nicht hätten träumen lassen, zwei von Deutschland verschuldete Weltkriege, der Untergang des Kaiserreiches, die Wirren der End-Weimarer Zeit und die Diktatur des Nationalsozialismus. Der Festgottesdienst wurde von Kardinal Herrnman Volk gehalten. 29)

Im Jahr 1987 schied auch Herbert Schega von seinen Schäfchen. Sein Nachfolger in der Gemeinde St. Thomas Morus wurde Pfarrer Norbert Hoffmann, von dessen verschiedenen Anliegen die Renovierung des Kindertagesstättenbereiches einen zentralen Punkt einnimmt. Im Jubiläumsjahr 1993 war Gerhard Kratky Pfarrgemeinderatsvorsitzender der Gemeinde St. Thomas Morus. 30)

Die Jubiläumsfeier zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen von „Sankt Themas Morus“ im Mai des Jahres 1993 wurde von einem Festgottesdienst gekrönt, der von den Pfarrern Henning Roth, Norbert Hofmann und Herbert Schega sowie dem Diakon Elmar Kuhn und Kaplan Manfred Schmutzer zelebriert wurde. Daneben wurde allerdings auch zünftig gefeiert, Lieder zum Besten gegeben und das über gemeindliche Beisammensein gepflegt. 31)

Im Ortsteil Obertshausen der Stadt Obertshausen existierten an katholischen kirchlichen Vereinigungen im Jahre 1991/92 der Frauenkreis St. Thomas Morus, die Katholische Jugend Obertshausen, der Katholische Kirchenchor Obertshausen sowie die Pfarrjugend Herz-Jesu Obertshausen. 32)

 

Anmerkungen:

1)         H. Kahl, Zwischten Einst und Jetzt, S. 98

2)         H. Kahl, Zwischten Einst und Jetzt, S. 98

3)         Karl Holl, Missionsmethoden der alten und der mittelalterlichen Kirche, S. 14,

4)         vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 98

5)         vgl. hierzu und zum Folgenden H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 98ff.

6)         vgl. H. Kahl, Die Anfänge des Schulwesens in Obertshausen, S. 22

7)         vgl. H. Kahl, Beiträge zur Geschichte und Kultur von Obertshausen und Hausen, Bd. 2, S. 34

8)         vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 98f.

9)         vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 99

10)       vgl. 75 Jahre Herz-Jesu-Kirche, S. 14f.

11)       vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 100

12)       vgl. 75 Jahre Herz-Jesu-Kirche, S. 15

13)       vgl. a.a.O., S. 17

14)       vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, s. 101

15)       vgl. 75 Jahre  Herz-Jesu-Kirche, S. 19

16)       So Emil Neidig in seinem Beitrag zur Geschichte der katholischen Pfarrei Obertshausen, in: H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 101

17)       vgl. a. a.O., S. 101

18)       StAOH, XIX/4/-/8

19)       vgl. hierzu und zum Folgenden, H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 101f.

20)       vgl. hierzu und zum Folgenden 75 Jahre Herz-Jesu­Kirche, S. 38

21)       vgl. hierzu und zum Folgenden 75 Jahre Herz -Jesu­Kirche, S. 45ff.

22)       HB, 14.6.1968

23)       HB, 31.12.1968

24)       vgl. 75 Jahre Herz-Jesu-Kirche, S. 49

25)       Bürger-Jahrbuch 1991/92, S. 61

26)       vgl. 75 Jahre Herz -Jesu-Kirche, S. 49

27)       HB, 30.4.1986

28)       HB, 20. /21.11.1986

29)       HB, 28.5.1987

30)       HB, 3.12.1987

31)       OP, 2.6.1993

32)       Bürgerjahrbuch         1991/92, S. 58, 60 u. 61

 

26.3.2 Die katholische Gemeinde in Hausen

Die religiöse Orientierung Hausens ist von der Obertshausens nicht wesentlich verschieden. Auch Hausen gehörte zur Mutterkirche Mühlheim (Mulinheim inferior), die sich bereits für das Jahr 815 nachweisen lässt. Vieles spricht dafür, dass im Zuge dieser karolingischen Binnenmission – die Problematik wurde weiter oben ja bereits angesprochen – auch die Ortschaft Hausen unter die entsprechende seelsorgerische Betreuung fiel. 1)

Im Jahre 1339 wird Hausen – gemeinsam übrigens mit Obertshausen – als Filiale Lämmerspiel zugeordnet. Lämmerspiel bestand als selbständige Pfarrei seit Beginn des vierzehnten Jahrhunderts konnte jedoch diese Eigenständigkeit zunächst einmal nicht allzu lange behalten, denn bereits im Jahre 1431 wurde sie der Pfarrei Steinheim zugeordnet, weil Lämmerspiel verwaist war. Die seelsorgerische Betreuung erfolgte jedoch weiterhin von Lämmerspiel aus, wenngleich eine Zeitlang der Beneficat von Steinheim auch Pfarrer der Lämmerspieler Pfarrei war. 2)

Die geistigen Umwälzungen, die im Zuge von Humanismus und Reformation stattfanden, mögen Hausen vielleicht nicht unberührt gelassen haben, ein wesentlicher Einfluss dieser neuen Ideen auf den Ort ist zumindest nicht nachweisbar. In jedem Falle berührt wurde das Dorf durch die vorgeblich religiös motivierten kriegerischen Auseinandersetzungen, die als „Dreißigjähriger Krieg“ in die Geschichtsbücher eingehen sollten. Am Ende dieses Krieges, der ganze Landstriche entvölkerte, hatte Hausen gerade noch fünfzehn Einwohner.

Über all diese Jahre erfolgte die seelsorgerische Betreuung nicht in Hausen selbst. Das änderte sich ab dem Jahre 1728, in dem die Grundsteinlegung zur ersten Hausener Kirche – am Eingang zur heutigen Herrnstraße gelegen – stattfand. Allerdings erfolgte die „Verselbständigung“ des religiösen Lebens nur in Etappen, die Kirche, die 1732 ihre erste Glocke erhielt, war lediglich ein Bethaus, in dem noch keine Messen abgehalten werden konnten. 3)

Mit der Einrichtung einer eigenen Schule für Hausen, die 1733 erfolgte, war neben dem „normalen“ Unterricht auch die religiöse Unterweisung verbunden. Auch dies war ein Schritt, der der Verbesserung der kulturell ­ geistigen „Infrastruktur“ diente und eine gewisse Verselbständigung des Ortes auf dem Gebiet der religiösen Betreuung mit sich brachte. Damit verbunden war sicherlich auch ein gewachsenes Selbstbewusstsein, wie es sich im ersten Hausener Messbuches als einer Stiftung des „ehrsamen Christian Bicart und seines Vaters Servatius Bicart“ niederschlug. 4)

Diese Information sowie die Beschreibung der von den Eltern der Schüler aufzubringenden Entlohnung des Dorflehrers, die aus Naturalien und dem Schulkreuzergeld bestand, können wir dem im Jahre 1758 begonnen Hausener Kirchenbuch entnehmen. 5)

Dieses – im Stadtarchiv Obertshausen im Bereich Hausen Abteilung XII, Abschnitt 6; Konvolut 3; Fascikel 8 zu finden – enthält auch Informationen, die Ereignisse vor 1758 betreffen. Man kann es als eine Art Informationssammlung auffassen, die – so heißt es auf der ersten Seite- aufgrund allgemeinen Beschlusses zusammengestellt wurde:

„Herr Erwein Hoffmann Schultheiß Caspar Hoffmann Johann Heinrich Junior und Peter Bieroth Gerichts Schöffen und Sambliche Gemeinheit zu Hausen hinter der Sonne hat sich nach Altem Gebrauch und Löblichem Herkommen Entschlossen, Ein Kirchen-Buch auf Zu Stellen für die Nach Kommende, darinnen der Anfang unserer Römisch Catholieschen Kirchen – Bau, der Anfang und Vermöhrung des Gottes Dienst, und Ein Weysung Kürzlich zu Beschreiben. Wie auch der Gutthäter ihre Stiftung, Sambt einer Tabeil darin die Messen zu Trost ihrer Verstorbenen Seelen Verzeichnet sind, und ein Register über die Kirchen-Gelter. Wie auch den Anfang Alhiesiger Schuhl. Von Johann Henrich Junior Damast-Weber und Gerichts-Schöft zu Hausen Hinter der Sonn aufgestellt und geschrieben.
So geschehen Haussen Hinter der Sonn den 2ten Februarii 1758“. 6)

Mit dem Hausener Kirchenbuch liegt uns also ein unmittelbares Dokument vor Augen, das – es wird ja in der „Präambel“ deutlich gemacht von vornherein als Instrument zur Aufzeichnung von Geschichte, genauer gesagt Kirchengeschichte, angelegt worden ist. Interessant sind auch Informationen, die sozusagen „unter der Hand“ geliefert werden. Johann Henrich Junior, derjenige also, der laut eigenen Angaben das Kirchenbuch führte, war von Beruf Damastweber, was darauf hindeutet, dass dieses Gewerbe seinerzeit in Hausen ausgeübt worden sein muss. überdies bekleidete er als Gerichtsschöffe ein öffentliches Amt, was vermutlich erst die Voraussetzung dazu schaffte, dass er eine solche Ehre, wie es das Führen des Kirchenbuches darstellte, überhaupt ausüben durfte.

Neben einem künstlerischen Wert, den das Hausener Kirchenbuch hat, stellt es vor allem eine historisch ergiebige Quelle dar. Dabei ist es durchaus keine Selbstverständlichkeit, dass eine solch interessante Informationsfundgrube tatsächlich die Jahrhunderte Überdauert. Das gilt auch für das Hausener Kirchenbuch, denn das Buch war verschollen und Josef Seuffert, der Verfasser des Buches „Unser Hausen“, der durch eine Notiz des früheren Pfarrers Graf Kenntnis von dem Kirchenbuch erhalten hatte, stieß nach jahrelangen Nachforschungen auf das Werk, „an einem Ort, wo es niemand vermutet hätte“. 7) Wo der Fund allerdings gemacht wurde, wird uns von Seuffert verschwiegen.

Mittlerweile hatte die Hausener Kirche durch die Zuwendungen der Gräfin Maria Theresia von Schönborn, sie stiftete den alten Altar der Heusenstammer Kirche, einen Kelch, die Monstranz und ein Messgewand, sowie durch die Stiftung des Altargemäldes, das den Kirchenpatron St. Josef darstellte, von Adolph Bicart so weit an Attraktivität gewonnen, dass man es wagte, in Mainz um die Genehmigung zur Messfeier nachzusuchen, die auch 1747 erteilt wurde. Am 6. April 1748 wurde die erste Messe in St. Josef durch den Lämmerspieler Pfarrer Kempter gelesen worden. 8)

1756 wurde das Gotteshaus durch den Mainzer Suffraganbischof Nebel eingeweiht. Dennoch besuchten die Hausener weiterhin den Lämmerspieler Gottesdienst. Erst mit dem Jahr 1800 wurde regelmäßig ein feiertäglicher Frühgottesdienst eingeführt. Allerdings wurde erst ab 1842 – vorausgegangen waren Streitigkeiten mit Lämmerspiel – ein eigenes Hochamt an Sonn- und Feiertagen durchgesetzt. Gleichzeitig erfolgte eine Lösung des Kirchenverbandes mit Lämmerspiel. 9)

Im Jahre 1843 erhielt die Hausener Kirche ihre zweite Glocke, 10) was offenkundig den schlechten Zustand des Gotteshauses nicht wesentlich verbessern konnte, sprach doch der Mainzer Bischof von Ketteler 1756 davon, dass Christus in Hausen hinter der Sonne immer noch in einem Stall wohnen müsse. Auch die auf diese bischöfliche Kritik zwei Jahre später in Gang gesetzte Renovierung des Gotteshauses scheint nicht von bleibendem Erfolg gewesen zu sein, denn im Jahre 1880 rang man sich unte

den Katholiken Hausens dazu durch, eine neue Kirche zu bauen. 11)

Trotz der herben Kritik des Bischofs und der Tatsache, dass die Hausener offenbar ihrer alten Kirche eher halbherzig gegenüberstanden, wäre es ein Trugschluss, den katholischen Gläubigen des Ortes ein Desinteresse im weitesten Sinne vorzuhalten. Dagegen spricht das Kirchenbuch eine beredte Sprache und manches Aktenstück ist diesbezüglich ebenfalls sehr aufschlussreich. So finden sich Belege darüber, dass aus dem Kirchenfonds Hausens Anleihen vergeben bzw. getätigt wurden, was ja nichts anderes heißt, als das (vorübergehend) zahlungsschwachen Hausenern damit unter die Arme gegriffen wurde, also sozusagen eine Solidargemeinschaft ausgeübt wurde. 12)

Im Zuge des „Strukturwandels“ im vergangenen Jahrhundert erfolgten am 25. Juli des Jahres 1845 verschiedene Umorientierungen, was die bis dato bestehenden Besitzverhältnisse angeht. Diese Ablösungen erfolgten an verschiedene Adressen. Für 810 Gulden wurden die der katholischen Pfarrei Lämmerspiel in der Gemarkung Hausen zustehenden Grundrenten abge1öst 13), die Ablösung der der Pfarrei Steinheim zustehenden Grundrenten erfolgte gegen die Bezahlung von 153 Gulden. 14) Der „zweite Schullehrer und Glöckner“ zu Steinheim schließlich wurde ebenfalls am 25. Juli 1845 für die Aufgabe seiner Grundrente ebenfalls mit 153 Gulden  entschädigt. 15)

In den Jahren 1897 und 1898 wurde der Bau der neuen St Josefs-Kirche vorangetrieben. Maßgeblicher Initiator war der damalige Pfarrer Graf, der seinen Freund, Domkapellmeister Weber, dazu bewegen konnte, der neuen Kirche ein dreiglockiges Geläut zu stiften. Der neue Sakralbau wurde im neugotischen Stil errichtet und konnte mit den ersten Gottesdiensten zu Ostern und zum Weißen Sonntag des Jahres 1899 die alte Kirche ersetzen, die auch bald darauf abgebrochen wurde. Ob der Stolz auf den neuen Kirchbau dazu führte, die ältere Kirche geringzuschätzen,·ist kaum mehr festzustellen. Spuren hat die erste Kirche Hausens bis heute in der Straßennamengebung hinterlassen, die Kapellenstraße erinnert zweifellos an die alte Hausener Kirche. 16)

Kurz nach Beginn des neuen Jahrhunderts, im Jahre 1901, wurde die Josefskirche vom damaligen Mainzer Bischof, Dr. Brück, eingeweiht. Im selben Jahr erhielt das Gotteshaus auch seine Orgel, die sich vorher in der alten Kirche in Bieber befunden hatte. Die katholische Bevölkerung Hausens machte seinerzeit – im Jahre 1900 99% aus, unter den 1025 Einwohnern des Ortes befanden sich nur zwölf Personen evangelischen Bekenntnisses. 17)

Das neue Jahrhundert, das einerseits euphorisch begrüßt andererseits aber auch gefürchtet worden war, schien zumindest auf dem Sektor des Kirchlichen positiv zu verlaufen. Allerdings entstanden durch einen Brand in der katholischen Taufkapelle im Jahre 1902 Schäden, die im September des Jahres beseitigt wurden. Die Rechnung betrug die stattliche Summe von 34,80 Mark. 18)

Es gab jedoch wirklich erfreuliche Entwicklungen. Neben den oben angedeuteten positiven Veränderungen hielt auch die moderne Technik ihren Einzug in das Gotteshaus. Die alten Petroleumleuchten wurden im Jahre 1907 durch Gaslampen ersetzt, die wesentlich leichter zu handhaben waren und damit höheren Komfort versprachen. 19)

Der weitere Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts brachte aber kaum Erleichterungen für die Hausener Bevölkerung und auch nicht für die Kirche in Hausen. Mit den Anfangstagen im Monat August des Jahres 1914 begann der Erste Weltkrieg, der zunächst, weil er von vielen als „reinigendes Gewitter“ empfunden wurde, auch in Deutschland Jubel und Begeisterung auslöste. Dies galt umso mehr, als die Zivilbevölkerung zunächst kaum von den Folgen des Krieges betroffen wurde.

Mit dem weiteren Verlauf des Krieges wurde allerdings die Rohstofflage – insbesondere nach aktivem Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Kriegsverlauf – für die Mittelmächte, zu denen auch das deutsche Kaiserreich gehörte, immer kritischer. Einsparungen wurden angesetzt, wo es nur möglich war. Dabei blieb in der Realität der Kriegsgrausamkeit auch der Respekt vor kirchlichem Eigentum auf der Strecke, im Jahre 1917 wurden die Glocken und die Metallgehäuse der Orgelpfeife der Hausener Kirche eingeschmolzen, um als Geschützrohre „aufzuerstehen“. 20)

Im Juli des Jahres 1917 musste die katholische Gemeinde Meldung über den Glockenbestand erstatten. Dabei erfahren wir, dass die entsprechenden Stellen für „kleinere Geläute bis zu 555 kg“ 3,50 Mark für das Kilogramm Metall bezahlten. Geläute, deren Masse darüber lag wurden allerdings nur noch mit 2 Mark pro Kilogramm entschädigt. Zusätzlich wurde eine „Grundgebühr“ von 1000 Mark für jedes Geläute erstattet und diejenigen Gemeinden, deren Meldung bis zum 31. Juli 1917 eingegangen war, erhielten zusätzlich eine „Ausbauprämie“ von 1 Mark pro Kilogramm Metall. Die Hausener hatten es mit ihrem über 555 kg schweren Geläut von der Entschädigung her schlecht getroffen, aber sie hatten wenigstens rechtzeitig  Meldung erstattet, so dass sie die Meldeprämie erhielten und insgesamt 4540 Mark an Entschädigung für ihre Kirchenglocken erhielten. 21)

Das Opfer der Kirchenglocken und der Orgelpfeifen bzw. deren metallische Einfassungen waren allerdings sinnlos

Die spätestens mit den sogenannten „Materialschlachten“ der Westfront des Jahres 1916 sich abzeichnende Niederlage des deutschen Reiches war auch durch das Einschmelzen von Kirchenglocken nicht mehr zu verhindern. Im November 1918 wurden die Waffenstillstände beschlossen, ab Januar des Jahres 1919 trat man in die Friedensverhandlungen ein. 22) Im Zuge der normalisierteren Nachkriegsverhältnisse, immerhin gehörte Hausen nicht zu dem französisch besetzten rechtsrheinischen „Brückenkopf“, wurden 1922 die Metallorgelpfeifen der Hausener Kirche ersetzt. Allerdings musste auch in Hausen etwa im Jahre 1924 aufgrund des nachkrieglichen Ausnahmezustandes die „herkömmliche Fronleichnamsprozession“ durch das hessische Ministerium des Inneren bzw. das Offenbacher Kreisamt genehmigt werden. 23)

Die Bezeichnung „Goldene Zwanziger“ trifft nur auf die Situation eines kleinen Kreises von Personen zu, die sich in einer materiell gesicherten Position befanden, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat die zwanziger Jahr mit Sicherheit nicht als „golden“ empfunden. Das gilt natürlich auch für Hausen, dennoch wurden Anstrengungen unternommen, den kirchlichen Bereich weiter voranzutreiben.

So wurde am 1. März 1924 mit dem Bau eines Pfarr- sowie Schwesternwohnheimes bei St. Josef begonnen, das in „schlichtester Form“ gehalten war. Im selben Jahr wurde Hausen selbständige Pfarrkuratie, was die kirchliche Abhängigkeit von Lämmerspiel endgültig in den Bereich der Vergangenheit verwies. Diese Entwicklung war insofern lange überfällig, weil die Filialgemeinde Hausen längst mehr Einwohner als ihr Pfarrdorf Lämmerspiel aufzuweisen hatte. Weitere Ereignisse waren die Wiederherstellung des Kirchengeläutes im Jahre 1927 sowie die Installation von elektrischem Licht im Gotteshaus. 24) Dies ist jedoch nur die ein Aspekt der Veränderungen, die während der Weimarer Republik sich in Hausen vollzogen. Bereits in den letzten Jahren des Kaiserreiches war die Arbeiterbewegung in Form von Gewerkschaft und Sozialdemokratie zu einer machtvollen Größe geworden, deren geistige Inhalte scheinbar im Widerspruch zu kirchlichen Traditionen standen. Dementsprechend kam es immer wieder auch zu Differenzen zwischen Anhängern dieser Bewegung und dem Klerus, was sich in Hausen als einer sehr kirchlich – überdies konfessionell nahezu einseitig – geprägten Ortschaft besonders auswirkte. 25)

So lesen wir im „Offenbacher Abendblatt“, der Zeitung der Sozialdemokraten, folgendes: „Habt Erbarmen? denn sie wissen nicht, was sie tun! Es ist geradezu unerträglich, wie die hiesigen Schulen unter dem Druck·der katholischen Geistlichkeit stehen. 26) Die „Geistlichkeit“, die eine solch negative·Kritik erhielt war übrigens Valentin Schwahn, nachmaliger Ehrenbürger Hausens.

Im Februar des Jahres 1925 konnten die ersten drei Schwestern des Ordens Von der Göttlichen Vorsehung in das neuerbaute Schwesternhaus ziehen. Ihr Tätigkeitsfeld war zunächst der Bereich der Krankenpflege, bis es etwa fünf Jahre später – nach endgültiger Fertigstellung des Schwesternwohnhauses zur Einrichtung eines Kindergartens kam. Damit war die „soziale Infrastruktur“ Hausens um einen wichtigen Bereich erweitert worden. 27)

Das Jahr 1933  brachte eine grundlegende Veränderung der Gegebenheiten mit sich. Insbesondere die letzten Jahre der sogenannten Weimarer Republik waren von der Wirtschaftskrise und parteipolitischen Auseinandersetzungen überschattet gewesen, die eine Situation weitab von jeglicher Stabilität mit sich brachte. Von demokratischer Kultur konnte nicht mehr gesprochen werden und die Polarisierung der Verhältnisse sowie die Tatsache der täglichen Unsicherheit, ließen jene Sehnsucht nach Sicherheit und einer „starken Hand“ entstehen, die möglicherweise mit dafür verantwortlich ist, dass die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus sich etablieren konnte.

Diese – aufgrund der angespannten Situation durchaus verständliche – Sehnsucht nach überschaubaren und berechenbaren Lebensumständen war in weiten Kreisen verbreitet und ihre vorgebliche Erfüllung durch die sogenannte „Machtergreifung“ des 30. Januar 1933 stieß auf eine relativ breite Zustimmung – auch in konfessionellen Kreisen. Dass hierbei sogar die offizielle Kirche in Verkennung der Situation der Etablierung des neuen Systems durchaus positive Züge abgewinnen konnte, geht etwa aus der Jahreschronik des Katholischen Jahrbuches für Groß-Frankfurt hervor, in der die Hoffnung auf eine konfliktfreie Koexistenz ausgesprochen wurde. 28)

Es scheint insgesamt angesichts der neuen Lage eine rege Diskussion auch in Bezug auf den konfessionellen Bereich gegeben zu haben. Immerhin sah sich die hessische Regierung in einer Anweisung mit Datum vom 29. November 1934 bemüßigt, aufgrund der offenbar häufig Vorkommenden „kirchenpolitischen Debatten“ grundsätzlich zu verbieten, „derartige Fragen während des Dienstes und insbesondere in den Diensträumen zu erörtern“. 29)

Der deutlich proklamierte Schutz der staatlich nicht anerkannten kirchlichen Feiertage auch unter den neuen Machthabern sollte deren positive Einstellung dem Christentum gegenüber deutlich machen. Dies zeigt das Beispiel des Erlasses zum Allerheiligenfest vom 29.Oktober 1934, demnach katholische Arbeitnehmer an diesem Feiertag nicht zu „irgendwelchen Arbeiten“ verpflichtet werden sollten und der „Allerheiligentag daher für dieses Jahr entsprechend dem bisherigen Brauch gefeiert werden“ konnte. 30)

Immerhin bot sich für die katholische Kirche auch eine scheinbare Chance, die eigenen Verhältnisse zu verbessern. In einem Schreiben vom 24. August 1933 klagt Pfarrer Schwahn die der katholischen Gemeinde Hausens zustehenden Zuschüsse, die im Gemeindehaushalt laut Vertrag vom 4.2.1842 einzustellen seien, ein. Schwahn schreibt: „Seit dem Jahre 1925 hat die sozialdemokratische Mehrheit des Gemeinderates sich geweigert, diese aus dem Vertrag von 1842 sich ergebende Verpflichtung zu erfüllen.“ 31) Da das bischöfliche Ordinariat Mainz auf der Zahlung des Zuschusses von – laut Vertrage 342,86 Reichsmark bestehe, eine Klage aber nicht erwünscht sei, solle zunächst eine gütliche Regelung angestrebt werden.

Dass die alltägliche Situation nach den vorgeschoben bescheidenen Anfängen des neuen Systems ganz anders aussehen sollte, mussten die konfessionell orientierten Menschen genauso wie die Amtskirche sehr bald erfahren. Der „Führerstaat“ duldete keine Konkurrenz, nachdem politische Rivalen ausgeschaltet waren, wurden in den Jahren 1935 und 1936 auch katholische Vereine verboten und ihre Materialien beschlagnahmt. In kircheneigenen Räumlichkeiten durfte eine rudimentäre Vereinsarbeit weitergeführt werden, wenn sie sich auf die rein religiöse Sphäre beschränkte. 32)

Trotz dieser erheblichen Eingriffe in innerkirchliche Angelegenheiten wurde ein gewisses Weiterleben der katholischen Tradition auch in Hausen gepflegt. Am 30. August 1936 wurde der katholische Kirchenchor Hausen auf Initiative von Pfarrer Schwahn gegründet. „Äußerer“ Anlass war der erste Bischofsbesuch in der noch jungen Pfarrei. Der zunächst reine Männerchor, der 47 Sänger umfasste, wurde drei Jahre nach seiner Gründung auch Frauen zugänglich. 33)

Trotz gewisser Verbesserungen, die sich für die katholische Kirchengemeinde entwickelten, im Jahre 1939 etwa wurde in der St. Josefskirche eine Heizung eingebaut, war die grundsätzliche Situation für die Gläubigen sehr negativ. So saßen laut Zeitzeugenerinnerung 34) im Gottesdienst „Spitzel“ und achteten auf jede Äußerung des Geistlichen. Überdies stießen Prozessionen, wie sie am Fronleichnamstag üblich waren, später auf größere Widerstände, als das zunächst der Fall gewesen war, als sich das neue System als kirchenfreundlich darzustellen trachtete. Diesen Einschränkungen wäre wohl auch die Prozession des Jahre 1938 zum Opfer gefallen, wenn der Hausener Bürgermeister sich nicht für eine Erlaubnis eingesetzt hätte. 35)

Allerdings war der soziale Druck im katholisch geprägten Hausen so groß, dass er sogar auf örtliche NS ­ Prominenz wirkte. So erzwang der Vater der Freundin des Ortsgruppenleiters Hecker, dass dieser, wenn er die Beziehung mit ihr weiter aufrechterhalten wolle, den sonntäglichen Kirchgang auf sich nehmen müsse. Daraufhin bequemte sich der NB-Funktionär tatsächlich einige Male in die Kirche, was für die „normalen“ Kirchgänger natürlich eine Sensation darstellte. 36)

Jedoch darf diese eher amüsante Anekdote nicht darüber hinwegtäuschen, dass die alltägliche Situation unter dem Regime alles andere als unterhaltsam war. Dabei dürfte auch deutlich Druck auf die konfessionell Gebundenen ausgeübt worden sein, diese Bindungen zugunsten einer engeren Eingliederung in das NB-System aufzugeben. Der enge Kern der Gläubigen wurde davon wohl weniger berührt, es gab allerdings- im Gegensatz zu Zeitzeugenerinnerungen – eine durchaus nennenswerte Anzahl von Kirchenaustritten, wie aus den entsprechenden Unterlagen des Stadtarchivs zu erkennen ist. 37) Folgerichtig ist es, dass nach Ende des Krieges einige derjenigen, die sich aus der Kirche verabschiedet hatten, mehr oder minder reumütig in deren Schoß zurückkehrten. 38)

Mit dem September 1939 wurden auch für Hausen die Zeiten der unmittelbaren Einbindung in den nationalsozialistischen Alltag deutlicher spürbar, allein aufgrund des Zweiten Weltkrieges waren die Einflussnahmen von Seiten des Regimes deutlicher spürbar, die sogenannte „Volksgemeischaft“ wurde nun zu einem Begriff, dem sich die meisten verpflichtet fühlten. Im Verlauf des Krieges, als es zu Bombenabwürfen sowohl von deutscher als auch von alliierter Seite gekommen war, wurden Prozessionen unter Hinweis auf die Gefährdung der Teilnehmer durch Luftangriffe verboten. 39)

Dennoch hatte auch der Zweite Weltkrieg seine Spuren in der Hausener Kirchengeschichte hinterlassen. Zwar wurden 1941 der Chor und der Hochaltaraufbau der Josefskirche neu gestaltet, im Zuge der auch in diesem Krieg sich abzeichnenden Mangelwirtschaft und Materialknappheit wurden die Glocken der Kirche wieder enteignet und einem wesentlich unheiligeren Zweck zugeführt. 40)

Immer wieder übrigens erfreuten sich die Repräsentanten der Kirche eines Interesses der jeweiligen Macht Ausübenden, sowohl aus der NS-Zeit 41) als auch aus der amerikanischen Besatzungsphase 42) liegen Schriftstücke vor, aus denen sich entnehmen lässt, dass die entsprechenden Behörden ein Interesse daran gehabt haben, Namen und Anschrift der Pfarrer bzw.

Predigtbevollmächtigten und Vikare zu erfahren. Übrigens war es auch nach Ende des Krieges unter amerikanischer Besatzung keineswegs so, dass kirchliche Aktivitäten in jedem Falle auf Zustimmung hoffen durften. So gab am 29. Mai 1945 der Hausener Bürgermeister die Anweisung das amerikanischen Majors Sheehan weiter, dass in Stadt- und Landkreis Offenbach keine Fronleichnamsprozessionen außerhalb der Kirche gestattet seien. 43)

Dennoch waren die Rahmenbedingungen für die kirchlichen Aktivitäten nach dem Krieg natürlich wesentlich günstiger als sie es unter der nationalsozialistischen Diktatur gewesen waren. Vor allem galt das natürlich für die vielen „Fremdarbeiter“, die in erster Linie aus der Sowjetunion und Polen, aber auch aus Frankreich und Italien zwangsverpflichtet worden waren. Auch diese nahmen, so schreibt es der katholische Geistliche von Hausen, Valentin Schwahn, die Gelegenheit zur vorösterlichen Beichte wahr. 44)

Am Kerbsonntag, dem ersten Septembersonntag des Jahres 1949 erfüllten erstmals die neuen Glocken der Hausener Josefskirche ihre Aufgabe, die Gläubigen zum Gottesdienst zu rufen. Im Zuge der folgenden 50er Jahre begann das Gemeindeleben sich vielfach aufzufächern. So begann die Pfarrgemeinde 1953 aufgrund des Bevölkerungswachsturns die Planung für eine neue Kirche zu überdenken, für die auch in diesem Jahr zu sparen begonnen wurde. 45)

Ein Jahr später, 1954, fand am 14. Mai die Gründung einer Hausener Kolpingfamilie statt, der zunächst Kaplan Rummel vorstand. War diese zunächst eine reine Männerangelegenheit, fanden seit Ende der achtziger Jahre auch Frauen Zugang. Am Ende des Jahres 1992 betrug die Mitgliederzahl etwa 80 Personen, von denen rund ein Viertel weiblichen Geschlechts war. 46)

Am 31. Dezember des Jahres 1957 trat Valentin Schwahn, mittlerweile im Range eines Geistlichen Rates, nach 33 Dienstjahren in den Ruhestand. Fünf Jahre später konnte Schwahn nicht nur sein Goldenes Priesterjubiläum feiern, sondern wurde von der politischen Gemeinde Hausen mit der Ehrenbürgerwürde bedacht.47)

Sein Nachfolger als Pfarrer in Hausen war Alois Luttermann, unter dessen Ägide eine rege Bautätigkeit herrschte. So wurde 1960 etwa der·katholische Kindergarten in der Gumbertseestraße eingeweiht, 1961 – ironischerweise am Tag des „Mauerbaus“ – der Grundstein für die neue Piuskirche gelegt sowie im November der Rohbau für die neue Kirche beendet. Ein Jahr später konnte die neue Kirche, die durch den seinerzeit nicht unumstrittenen Professor Rudolf Schwarz in moderner Auffassung fast wie ein industrielles Zweckgebäude entworfen worden war, durch den damaligen Mainzer Bischof Dr. Volk geweiht werden, am Ende des Jahres hatte Hausen 4631 Katholiken. 48)

Im Jahre 1964 erhielt Hausen mit Johannes Koch einen neuen Pfarrer, der die Nachfolge Pfarrer  Luttermanns antrat. In diesem Jahr starb auch der erste Hausener Pfarrer, Valentin Schwahn, der seine letzte Ruhestätte in der neuerbauten Piuskirche, sie sollte zwei Jahre später mit der Errichtung  eines Kirchturms ihre Vollendung  erfahren, fand. 49)

Die allgemeine Aufbruchsstimmung        und der Trend zur Demokratisierung bestehender Strukturen am Ende der sechziger Jahre mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass im April 1968 auch in Hausen eine ·erste Pfarrgemeinderatswahl abgehalten wurde, an der immerhin rund 20% der wahlberechtigten Katholiken teilnahmen. Seither ist die Einrichtung des Pfarrgemeinderates aus dem Leben der katholischen Gemeinde nicht mehr wegzudenken. 50)

Die sich im Zuge des zwanzigsten Jahrhunderts und insbesondere in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ergebende Steigerung des evangelischen Bevölkerungsanteils Hausens ist sicherlich mitverantwortlich dafür, dass im November des Jubiläumsjahres 1969 – Hausen konnte auf 900 Jahre „schriftlich verbürgte“ Geschichte zurückblicken – in St. Pius ein ökumenischer Gottesdienst stattfand. 51) Für die katholische Bevölkerung besonders bedeutsam waren die liturgischen Reformen, in deren Folge das Latein aus dem gottesdienstlichen Zusammenhang verschwand.

Die siebziger Jahre waren gekennzeichnet durch die Übernahme des katholischen Dekanats Rodgau durch Pfarrer Koch im Jahre 1970, die Weihe des neuen Altars in der renovierten Kirche St. Josef, die drei Jahre später stattfand sowie vor allem durch zwei Jubiläen. 1974 bestand die selbständige Pfarrei Hausen fünfzig Jahre und die Kolpingfamilie Hausens konnte 1979 ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen feiern. 52) Allerdings waren mittlerweile durch den gebietsreformbedingten Zusammenschluss von Hausen und Obertshausen Veränderungen akut geworden, die nachhaltig in das alltägliche Leben der Bevölkerung eingreifen sollten. Die Bildung des Pfarrverbundes Hausen-Obertshausen­ Heusenstamm im Jahre 1976 mag in dieser Hinsicht vielleicht vorbereitend gewirkt haben.

Im Juli 1981 konnte Pfarrer Koch sein zwanzigjähriges Priesterjubiläum begehen und erhielt aus diesem Anlass den Titel „Geistlicher Rat“, 53) im November des Jahres 1982 wurde der Turm der Piuskirche durch ein Kreuz bekrönt, das der Werkstatt des Büdinger Bildhauers Bernhard Vogler entstammt. Zwei Jahre später wurde durch die gemeinsame Feier des Fronleichnamsfestes durch italienische, spanische und deutsche Katholiken ein Zeichen des Verständnisses gesetzt. 54)

Im Jahre 1985 erhielt die Hausener Gemeinde mit Elmar Kuhn ihren ersten Diakon. 55) Ein Jahr später, der katholische Kirchenchor konnte auf sein fünfzigjähriges Bestehen zurückblicken, 56) verließ Pfarrer Johannes Koch die Gemeinde, sein Nachfolger wurde Hans-Jürgen König. 57) Im Verlauf der Selbständigkeit der Hausener Kirchengemeinde war dies der vierte Pfarrer, der die seelsorgerische Leitung der katholischen Gläubigen übernahm.

Die Internationalität in der Arbeit der Hausener Katholiken erfuhr eine Bestätigung durch den Besuch des indischen Bischofs Abraham Viruthakulangare in der Gemeinde im Jahre 1987. Die Katholische Jugend Hausen engagierte sich bereits seit Jahren im Bereich der Dritten Welt, Unter anderem geschah dies in Form von sogenannten „Missionsessen“ für die Gemeinde mit Gästen aus Entwicklungsländern. Die Gemeindeglieder der Kirche St. Pius konnten in diesem Jahr überdies auf das fünfundzwanzigjährige Bestehen ihres Gotteshauses zurückblicken. 58)

Das Jahr 1989 war durch das Zehnjahresjubiläum der Hausener „Sternsinger“, die unter der Leitung von Michael Prochnow agierten sowie das Silberne Priesterjubiläum des Hausener Dominikanerpaters Eucharius geprägt. Im Jahr darauf konnte der erweiterte und renovierte Kindergarten, der nun für 100 Kinder in vier Gruppen Platz bot, eingeweiht werden. 59)

Im Jahre 1991 wurde mit der Konkretisierung der Umbaupläne für das Pfarrheim begonnen. Eine entsprechende Initiative bildete sich unter der Leitung von Maria Peter, die unter anderem mit der Broschüre.

„Hausen kocht international“ zur finanziellen Unterstützung der Umbaupläne beitragen will. 60) Mittlerweile ist bereits mit dem Abriss des alten Pfarrheims begonnen worden. Überdies laufen die Spendensammlungen für den Neubau eifrig weiter. 61)

Am Ende des Jahre 1992 lebten 5833 Katholiken in der Pfarrgemeinde St. Josef-St. Pius Hausen. Geistliche Betreuung erfährt die Gemeinde durch Pfarrer König, der durch den – auch für Obertshausen zuständigen – Kaplan Manfred Schmutzer unterstützt wird. Auch die Diakonstelle, bis vor kurzem von Elmar Kuhn versehen ist sowohl für die Katholiken Hausens als auch Obertshausens zuständig. 62)

Der Fortgang des Hausener Diakons Elmar Kuhn am ersten August des Jahres 1993 riss eine deutliche Lücke in die religiöse „Infrastruktur“ der katholischen Gemeinde in Hausen, dies umso deutlicher, als zu diesem Termin auch der Gemeindereferent Stefan Karl seinen Dienst in Hausen aufgab. Eine positive Überraschung war es, als sich mit Ruppert Schnell, der zuvor als Krankenhausseelsorger tätig war, unerwartet ein Nachfolger für Kuhn anbot und seine neue Wirkungsstelle ab 1. August antreten will. Somit ist ein nahtloser Übergang in der gemeindlichen Versorgung der Hausener „Doppelkirchengemeinde“ möglich. 63)

Kirchliches Leben findet allerdings auch außerhalb der „eigentlichen“ Kirche statt. Das Bürgerjahrbuch 1991/92 führt folgende „nebenkirchliche“ katholische Einrichtungen Hausens auf: Katholische Jugend Hausen und den Katholischen Kirchenchor Hausen. 64)

 

Anmerkungen:

1) vgl. hierzu und zum Folgenden J. Seuffert, Unser Hausen, S. 43f.

2) vgl. FS des katholischen Kirchenchores Hausen, S. 24

3) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 43

4) OP, 17.10.1990

5) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 89

6) StAH, XII/6/3/8

7) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 90

8) vgl. FS des katholischen Kirchenchores Hausen, S. 24

9) GPH, 25.6.1969

10) GPH, d.5.1973

11) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 44 12> StAH, X/2/23/14

13) StAH, X X I, 2/8/15

14) StAH, XX I, 2/8/14

15) StAH, XX I, 2/8/13

16) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, s. 44

17) vgl. FS des katholischen Kirchenchores Hausen, S.

25; J. Seuffert, Unser Hausen, S. 43

18) StAH, XXVII/3/7/25

19) vgl. J. Seuffert, Unser hausen, S. 44

20) GPH, 3.5.1973

21) StAH, VIII/51/6

22) dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. “   S. 131ff.

23) StAH, XII/1/5

24) vgl. J. Seuffert, Unser hausen, S. 44

25) vgl. K. Werner/M. Matthes/J. FUllgrabe, 100 Jahre SPD Hausen, S. 32ff.

26) OA, 20.3.1927

27) HB, 20./21.11.1986

28) Kirchenkalender für Groß-Frankfurt, 1934, S. 3

29) StAH, XII/1/8

30) StAH, XII/1/2

31) StAH, XV/57/1

32) vgl. W. Hofer, Der Nationalsozialismus, s. 124

33) GPH, 10.4.1968

34) Interview mit Sebastian Ott vom 30.6.1992

35) StAH, XII/1/5 u. 6

36) Interview mit Sebastian Ott vom 30.6.1992

37) StAH, XII/1/13

38) StAH, X I II 1 I 12

39) StAH, XIII117

40) J. Seuffert, Hausen, S. 44

41) StAH, XIII1110

42) StAH, XIII1111

43) StAH, XIII117

44) vgl. Chronik der Pfarrgemeinde Hausen , Palmsonntag 1945

45) GPH, 2.5.1973

46) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 60

47) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 45 48) GPH, 25.6.1969

49) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 45

50) GPH, 28.2;1368

51) GPH, 29.6.1369

52) HB, 24.5.1979

53) HB, 13.8.1381

54) Ortschronik für die Pfarr-Gemeinde Hausen, 1982, 1984

55) OP, 30.1.1993

56) HB, 6.3.1986

57) HB, 14.8.1986

58) HB, 10.12.1387; HB, 7.1.1988

59) Ortschronik für die Pfarr-Gemeinde Hausen, 1989/90 60) OP, 22.9.1932

61) HB, 11.3.1993

62) Ortschronik für die Pfarr-Gemeinde Hausen. 1992

63) OP, Pfingsten 1993

64) Bürgerjahrbuch 1991/92, S. 60

 

26.4 Die Reformation

Die Tatsache, dass es immer wieder Reformversuche innerhalb der Kirche gegeben hatte, deutet darauf hin, dass diese reformbedürftig war. Ganz besonders deutlich wurde dies zum Ausgang des Mittelalters, als die Päpste aufgrund ihrer nicht zuletzt durch den Sieg im Investiturstreit errungenen – Machtposition ähnliches Fehlverhalten an den Tag legten, wie sie es vormals den Kaisern vorgeworfen hatten. 1)

Die Ideen der Renaissance und als Humanismus bezeichnete Strömungen waren Wegbereiter bzw. Umfeld für Veränderungen, die im geistig-religiösen Bereich in Deutschland und auch in unserer Region Fuß fassten. Diese Bewegung, die als „Reformation“ in die Geschichte einging und sich in erster Linie mit der Person des Augustinermönches Dr. Martin Luther verbindet, war zunächst – wie ihre Vorläufer auch – nicht auf die Überwindung des Katholizismus angelegt, sondern auf eine Reform der Kirche. Der Thesenanschlag Luthers diente diesem Ziel. Allerdings führte die Eskalation der Auseinandersetzung dazu, dass es schließlich zur Kirchenspaltung kam – die evangelische Kirche wurde aus der Taufe gehoben.

Angemerkt sei noch, dass Luther nicht der einzige Reformator war, mit Calvin und auch Zwingli entstand ebenfalls eine gegen die Missstände in der katholischen Kirche gerichtete Bewegung, als deren Ergebnis es zur Gründung Reformierter Gemeinden kam. In Deutschland spielte die reformierte Kirche allerdings keine der lutherischen vergleichbaren Rolle. Anders war dies in der Schweiz und Frankreich. Für unsere Region besonders bedeutsam sind allerdings die als Hugenotten bekannten französischen Glaubensflüchtlinge, die hier im Rhein­ Main-Gebiet Zuflucht fanden und ihre reformierte Konfession hier ausüben durften.

In unsere Region wurde die Lehre Luthers durch dessen Schüler Erasmus Alberus getragen. Durch den Übertritt des hessischen Landgrafen Philipp des Großmütigen und die Einberufung einer Synode über die Frage der kirchlichen Konfession wurde der evangelische Glaube in Hessen eingeführt. In Heusenstamm fand die neue Lehre bald Eingang, Obertshausen war – wie Hausen übrigens auch – vermutlich aufgrund seiner kirchlichen Zugehörigkeit zum kurmainzischen Lämmerspiel „immun“, allerdings könnten sich in der Folgezeit durch den Wechsel der kirchlichen Verhältnisse – die Betreuung erfolgte ja von Heusenstamm aus, wo 1565 mit Leonhard Esper, der erste lutherische Pfarrer erwähnt wird – auch in Obertshausen Anhänger der neuen kirchlichen Lehre gefunden haben. Die überwiegende Mehrheit, wenn nicht gar die gesamte Einwohnerschaft, blieb weiterhin dem katholischen Glauben verhaftet. 2)

Das Fortbestehen der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche wurde durch die Entscheidungen des „Augsburger Religionsfriedens“ ermöglicht, die die Religionszugehörigkeit der Untertanen vom Bekenntnis des jeweiligen Herrn abhängig machten- dieser war der Fürstbischof von Mainz.

 

Anmerkungen:

1) vgl. J. L. Dunstan, Der Protestantismus, S. 197ff.

2) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 38f .

 

26.4.1 Die evangelische Kirchengemeinde Hausen-Obertshausen

Das Schicksal der evangelischen Christen in Hausen und Obertshausen unterlag einer wechselvollen Entwicklung. Im Zuge der Reformation waren viele Orte um Offenbach durch den Glaubenswechsel – cuius regio eius religio – zu evangelischen Gemeinden geworden. Diese Verhältnisse hielten jedoch nicht lange vor. Im Zuge der oft rigoros durchgeführten Gegenreformation wurde die neue Konfession wieder verdrängt.

Dadurch wurden viele dieser Gemeinden wieder dem Katholizismus zugeführt, was für die Protestanten weitreichende Folgen hatte. Nur wenige Angehörige dieser Konfession siedelten sich in den Jahrhunderten nach der Reformation in den entsprechenden Gemeinden an, da sie dort nicht erwünscht waren und als Glaubensfremdlinge einen schweren Stand hatten. Für diese Protestanten war Offenbach das kirchliche Zentrum, denn nur dort konnten sie an einem Gottesdienst teilnehmen, die Taufe und das Abendmahl empfangen und nicht zuletzt die Ehe schließen. Nur zu den Beerdigungszeremonien kam der zuständige Geistliche in die einzelnen Ortschaften. 1)

Eine Änderung der Gegebenheiten erfolgte erst mit einer Verfügung vom 21. September 1862, mit der durch die Schaffung einer Pfarrassistenz-Stelle für die Diaspora­ Gemeinden Heusenstamm, Bieber, Mühlheim, Dietesheim und Bürgel eine eingehendere seelsorgerische Betreuung stattfinden konnte. Diese Stellung hatte Kirchenrat Walther inne. Interessanterweise jedoch fand der erste Gottesdienst für die evangelischen Gläubigen außerhalb Offenbachs bereits am 30. August 1862 im Gasthof Thon in Heusenstamm statt. Wer ihn jedoch gehalten hat, ist aus den Quellen nicht ersichtlich Der gemachte Anfang führte zu Fortschritten für die evangelischen Christen. Heusenstamm, Bieber, Mühlheim, Dietesheim, Bürgel und Obertshausen wurden zu selbständigen Filial-Gemeinden erhoben. Hausen war damals noch Steinheim zugeordnet, ein Zustand, der sich erst 1898 änderte. Interessant ist das Anwachsen der evangelischen Bevölkerung Obertshausens. 1875 gab es in Obertshausen 10 Protestanten, 1895 waren es bereits 35. Allerdings war dies nicht die Folge eines kontinuierlichen Anstiegs, denn 1880 gab es in Obertshausen nur 5 Protestanten.

Mit der Abtrennung Hausens von der kirchlichen Betreuung durch Steinheim, die 1895 erfolgte, war eine weitgehende Organisationsänderung der evangelischen Kirche im Umkreis Offenbachs verbunden. Dies geschah in Form der Einrichtung einer Landpfarrei Offenbach, die überdies dreigeteilt wurde. Ein solches Segment wurde durch die evangelische Gemeinde in Bieber gebildet, der Heusenstamm, Hausen und Obertshausen zugesellt wurden. Auch hier ist ein Anwachsen der Zahl der Gläubigen zu konstatieren, 1900 gab es in Obertshausen 45 und in Hausen 12, 1910 in Obertshausen 115 und Hausen 28Evangelische. 2)

Mit dem Beginn des Schuljahres 1902 wurde durch einen Erlass der Großherzoglichen Kreisschulkommission in Obertshausen die Möglichkeit evangelischen Religionsunterrichtes geboten. Den Unterricht erteilte zunächst der Bieber er Lehrer Handschuch. 3)

Die Tatsache, dass Bieber 1914 eine reguläre Pfarrei wurde, ließ auch in Obertshausen den Wunsch nach einer eigenen Kapelle laut werden. Im Januar 1915 waren evangelische Frauen aktiv, um für die Einrichtung der gewünschten Kapelle zu sammeln. Den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend wurde auch ein Interessenverein gegründet. Interessant hierbei ist, dass es sich bei dieser Aktivität um „Kirche von Unten“ handelte, die nicht durch einen Pfarrer ins Leben gerufen wurde. 4)

Nach Ende des Ersten Weltkrieges 1919 konnte der erste evangelische Gottesdienst in Obertshausen abgehalten werden. Ort des Gottesdienstes war ein Saal in der Neuen Schule. Damit war die Initiative angeregt, von der politischen Gemeinde Gelände für den Bau eines eigenen evangelischen Gotteshauses zu erwerben. Am 31. Juli 1923 war es dann soweit, ein Grundstück an der Waldstraße, ganz in der Nähe der Neuen Schule, konnte erworben werden. Da es 1925 allerdings lediglich 164 evangelische Christen in Obertshausen gab, war der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus immer noch eine Utopie.

Dennoch wurde sich darum bemüht, die seelsorgerische Betreuung auch der Orte Obertshausen und Hausen zu gewährleisten, was – ebenso wie die Übernahme des evangelischen Religionsunterrichtes an den Schulen für die betroffenen Geistlichen keine leichte Aufgabe war. In den Anfangszeiten verbinden sich Namen wie die der Pfarrer Walther und Weiß sowie von 1928 bis 1945 Pfarrer Gebhardt mit einer effektiven evangelischen Betreuungsarbeit.

Allerdings führte der Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Obertshausen und Hausen, wie andernorts übrigens auch, zu einer raschen Veränderung auch der konfessionellen Gegebenheiten. Alte, bestehende Strukturen wurden oft zumindest aufgeweicht und es trat eine konfessionelle Durchmischung anstelle vieler vorher nahezu als unikonfessionell zu bezeichnender Gemeinden. In Obertshausen führten Flüchtlingszuzüge aus abgetrennten Ostgebieten, dem Sudetenland und Rückwanderungen aus Jugoslawien dazu, dass die Zahl der Protestanten in Obertshausen im Jahre 1950 auf 398 anstieg. Hausen hatte im Jahre 1950 384 evangelische Einwohner, also 12% der Gesamteinwohnerzahl. 6)

Aufgrund dieses Anstiegs der evangelischen Gläubigen erwies sich der bis dahin für den Gottesdienst genutzte Schulraum als zu klein bemessen und deshalb für die weitere  Abhaltung von Gottesdiensten als ungeeignet. Aus diesem Grunde wurde durch den evangelischen Kirchenvorstand Obertshausens eine Neuordnung der bestehenden Verhältnisse initiiert. Der seit 1950 für die beiden evangelischen Kirchengemeinden            in Obertshausen und Hausen zuständige- Pfarrer Schilling setzte sich vehement für die Realisierung des nach Lage der Dinge notwendig gewordenen Baus einer eigenen evangelischen Kirche für Obertshausen und Hausen ein. 7)

Mit dem ersten Oktober des Jahres 1951 gehörte die Zuordnung der evangelischen Gläubigen aus Obertshausen und Hausen zur Kirchengemeinde Offenbach-Bieber endgültig der Vergangenheit an. Mit ihrer an diesem Tag erfolgten Erhebung in den Status einer selbständigen Kirchengemeinde war gleichzeitig eine Zuordnung der neuen evangelischen Gemeinde Obertshausen-Hausen zur Kirchengemeinde Heusenstamm verbunden.

Bereits ein Jahr später, im Jahre 1951 (1952!), wurden ein evangelischer Kirchenvorstand und eine Kirchengemeinde-Vertretung gewählt. In diesem Gremium wurde der Erwerb eines für den Bau der künftigen Kirche vorgesehenen Bauplatzes an der Straße Obertshausen-Hausen beschlossen. Mit diesem Beschluss und der Realisierung des Kaufes nahmen die Pläne um den Bau einer eigenen protestantischen Kirche konkrete Formen an. 8)

Am 20. September 1952 war es dann soweit, der evangelische Pfarrer Schilling konnte den ersten Spatenstich tun und damit den Baubeginn einleiten. Die Bauaufsicht übernahm der Architekt Opper. Die eigentlichen Bauarbeiten begannen am 29. September. Nachdem die Fundamentierungsarbeiten            abgeschlossen waren, konnte am 19. Oktober 1952 die feierliche Grundsteinlegung erfolgen. Die Pläne für das Kirchengebäude stammten von dem Architekten Rudolf Hartog.

Die feierliche Grundsteinlegung war mit einem Gottesdienst verbunden. Die Liturgie hielt der Ortsgeistliche, Pfarrer Schilling, der Starkenburger Probst Rau hielt die Predigt und der zuständige Dekan Eckert trug mit einer Ansprache zu dem feierlichen Ereignis bei. Musikalisch umrahmt wurde die Grundsteinlegung durch die Kirchenchöre von Obertshausen-Hausen und Heusenstamm.

Konnte bereits am 28. Oktober das Richtfest gefeiert werden, war der Rohbau des Kirchengebäudes noch vor dem Weihnachtsfest des Jahres beendet worden. Mit dieser raschen Realisierung des ersten Bauabschnittes war die Arbeit an der neuen Kirche in erstaunlich kurzer Zeit abgeschlossen worden, der weitere Fortgang der Dinge war hiermit gewährleistet.

Dieser zweiten Bauperiode, die im Frühjahr des folgenden Jahres 1953 begann wurde, wurde als Zielvorgabe eine den Bedürfnissen eines Gotteshauses gerechte Innengestaltung zugrunde gelegt. Auch diese Phase wurde durch Spenden und Zuwendungen von Seiten der Kirchenleitung abgesichert. überdies wurde durch den Verkauf des in den zwanziger Jahren um Zweck des Kirchenbaus erworbenen Grundstücks an der Waldschule das Baukapital ergänzt, so dass finanzielle Engpässe weitgehend vermieden werden konnten.

Die Kiefernholzdecke der Kirche wurde in Form eines Tonnengewölbes angelegt, die Emporen-Brüstung entsprach im Material der Decke während das Kirchengestühl etwas dunkler gehalten war. Altar, Kanzel und Bodenplatten der Kirche wurden aus Marmor hergestellt. Dominierend im Kircheninnenraum ist ein schlichtes Holzkreuz, das dem Kirchenraum eine strenge Würde verleiht. 9)

Ein interessantes Detail der evangelischen Kirche Obertshausen-Hausen ist die Glocke- eine Stiftung der Kirchengemeinde Heusenstamm, die ursprünglich aus dem schlesischen Schweidnitz stammte. Diese im Jahre 1611 gegossene Glocke war, nachdem sie beinahe drei Jahrhunderte im Turm der Kirche von Reichenau im Kreis Strehlen hing und dort die Gläubigen zum Gottesdienst gerufen hatte, auf dem Hamburger „Glockenfriedhof“ gelagert worden, hatte dort die Gefahr des Einschmelzens überstanden, war auch nicht durch Bombeneinwirkungen zerstört worden und schließlich von dort nach Obertshausen gekommen.

Bis die Glocken der evangelischen Kirche allerdings die Gläubigen in das Gotteshaus rufen konnten, sollten doch noch einige Monate vergehen. Ein arbeitsreiches Jahr nach dem ersten Spatenstich war es dann soweit. Die feierliche Einweihung der evangelischen Kirche von Obertshausen-Hausen fand am vierten Oktober 1953 statt. Mit der Fertigstellung dieses Gotteshauses hatte die seelsorgerische Betreuung der evangelischen Gläubigen eine neue Dimension gewonnen, die sich in aktivem Gemeindeleben manifestierte.

Der Ton „Es“ dieser ersten Glocke der evangelischen Kirche Obertshausen-Hausen wurde im Jahre 1957 durch zwei weitere Glocken der Stimmung „C“ und „B“ ergänzt. Der Dreiklang dieses Geläuts entspricht dem „Gloria“ ­ Motiv. 10)

Allerdings kommt es in der Kirche erst in zweiter Linie auf das Gotteshaus an, im Mittelpunkt steht immer der Mensch. Dies gilt auch für den Pfarrer und Seelsorger, die allerdings nicht zwischen Gott und die „übrigen“ Menschen „zwischengeschaltet“ sind, sondern eher eine Vorbildfunktion auszuüben haben.

Nachdem der – am 13. April 1965 verstorbene 11) – „Erbauer der Waldkirche“, Pfarrer Schilling, die „Doppelgemeinde“ Hausen-Obertshausen über zehn Jahre betreut hatte, verzeichnete der Pfarrbezirk Obertshausen in den sechziger Jahren eine deutliche Fluktuation von Pfarrern und Pfarrvikaren. 12) Von September 1963 bis 1964 war Norbert Hufnagel Pfarrvikar in Obertshausen. Von November 1964 bis Frühjahr 1966 war Wilhelm Krüger Pfarrer in Obertshausen, seine Nachfolge trat bis Mai 1968 Herbert Büttner an.

Mit dem ersten Januar 1968 wechselte die evangelische Gemeinde vom Dekanat Offenbach in das neugegründete Dekanat Rodgau. Am 1. Mai 1968 wurde Volker Lotz als neuer Pfarrer der evangelischen Gemeinde Hausen­ Obertshausen in sein Amt eingeführt. Der vormalige Pfarrvikar trat die Nachfolge von Pfarrvikar Büttner an. 13) Nur drei Monate später, am 1. August 1968 wurde Eckhard von Debschitz als zweiter evangelischer Pfarrer für Hausen und Obertshausen in sein Amt eingeführt. 14) Ein Unbekannter war er allerdings nicht mehr, hatte von Debschitz doch bereits im November 1965 als Pfarrvikar die Betreuung der evangelischen Gläubigen übernommen. 15)

Die Aktivitäten der evangelischen Gemeinde waren sehr vielfältig, wobei auch Kontakte zu den katholischen Christen unterhalten wurden. 1969 fand in Hausen anlässlich der Neunhundert Jahr Feier der erste ökumenische Gottesdienst statt. 16)

Das Kirchengebäude stellt zwar den Mittelpunkt des kirchlichen Lebens dar, zu einer intakten Infrastruktur gehört allerdings auch eine Betreuung der Gemeinde im Umfeld, im Allgemeinen einem Gemeindehaus. Auch die evangelische Kirchengemeinde von Hausen-Obertshausen war darum bemüht, die Betreuung der Gläubigen auf diese Weise zu gewährleisten. Im September 1977 konnte für die evangelischen Gläubigen ein neues Gemeindezentrum geöffnet werden, das die provisorische Lösung der vorherigen zwanzig Jahre der Vergangenheit angehören ließ. 17)

Trotz dieser Wandlungen und der Intensivierung des Gemeindelebens, sind bewusst auch Traditionen bewahrt worden die einen tieferen Sinn aufweisen. So hängt im Geläut der evangelischen Waldkirche immer noch die 1611 in Schlesien gegossene Glocke, die als Symbol in doppelter Hinsicht anzusehen ist. Einerseits ist es so, dass die Kirchenglocke den Ruf zum Gottesdienst und damit zu Gott -symbolisiert, andererseits ist es so, dass viele der evangelischen Gläubigen Obertshausens oder deren Eltern ebenfalls aus den östlichen Gebieten Deutschlands stammen, was eine Bindung der besonderen Art schafft und darstellt.

Die Aktivitäten der Evangelischen Kirchengemeinde Obertshausen-Hausen erschöpfen sich allerdings nicht in Gottesdiensten. Es gibt an anderen Aktivitäten etwa „Kinder- und Jungscharstunden“, Jugendabende, ein Seniorentreff im Gemeindehaus, einen monatlichen Nachmittagstreff für berufstätige Frauen sowie zweimal im Monat einen Müttern und ihren Kleinkindern vorbehaltenen Mittwochnachmittag. Daneben finden Gesprächskreise der unterschiedlichsten Thematik statt, nicht zuletzt auch das jeden zweiten Monat stattfindenden samstägliche „Männerfrühstück“, eine wohl einmalige Institution. 18)

Vergegenwärtigt man sich, dass die Evangelische Kirchengemeinde erst seit 1951 selbständig ist, sind das Angebote, die sich durchaus sehen lassen können. Dabei mögen einige Zahlen zur übersieht hilfreich sein. 1875 etwa gab es im Ort Obertshausen zehn evangelische Gläubige, in Hausen keine Angehörigen dieser Konfession. Im Jahre 1951, der Selbständigwerdung der Kirchengemeinde waren es in beiden Orten etwa 1100 Angehörige des evangelischen Glaubens während es um die Wende von den achtziger zu den neunziger Jahren circa 6000 Evangelische in der Stadt Obertshausen gab.

Am 2.Oktober 1983 konnte die evangelische Gemeinde Hausen-Obertshausen ihr dreißigjähriges Bestehen feiern. In einem großen Festgottesdienst, in dem Volker Lotz die Predigt hielt und Eckhard von Debschitz einen „historischen Rückblick“ lieferte, wurde des Ereignisses erinnert. 19)

Im April 1986 verabschiedete sich Eckhard von Debschitz nach zwanzigjährigem Gemeindedienst – er hatte 1966 die Nachfolge des ersten evangelischen Pfarrers Schilling angetreten – mit dem Motto:     „Ein Pfarrer sollte gehen, so langt- es den anderen noch leid tut“. 20) Im Januar 1987 wurde der Pfarrvikar Thomas Blöcher in einem feierlichen Gottesdienst ordiniert und in seinen zweijährigen Dienst für den evangelischen Pfarrbezirk Hausen eingeführt. 21)

Im Juni 1988 wurde für die evangelische Waldkirche das Projekt einer neuen Orgel angegangen, das durch Spenden – unter anderem dem „Verkauf“ von Orgelpfeifen, wobei jeder „Käufer“ mit der entsprechenden Spende eine eigene Orgelpfeife „erwerben“ konnte – finanziert werden sollte. 22) Am 24.9.1988 war es soweit, die neue Orgel konnte erstmals den Ohren der Öffentlichkeit vorgestellt werden. 23)

Aber nicht nur die Orgel wurde erneuert, auch personelle Wechsel standen für die evangelischen Gläubigen der Stadt an. Neuer Pfarrer der evangelischen

Gemeinde Obertshausen wurde Matthias Laubvogel, der am 18. August 1991 feierlich in die Gemeinde eingeführt wurde. Dabei war der gute Ruf, den die Gemeinde als verwirklichte „Mitarbeiterkirche“ genießt, ein wichtiger Argumentationspunkt für Laubvogels Interesse an der vakanten Pfarrstelle. Während sein Kollege Volker Lotz weiterhin die Obertshausener Gläubigen betreute, war und ist der musikalisch interessierte Laubvogel für Hausen zuständig 24) Im Rahmen seines Interesses an Musik ist wohl auch das Konzert des Liedermachers Siegfried Fietz im Dezember 1991 zu sehen. 25)

Am Sonntag, dem 2. Mai 1993, konnte Pfarrer Volker Lotz sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum im Dienste der evangelischen  Christen Obertshausens bzw. der  beiden Orte Hausen und Obertshausen feiern. Eigentlich  einen Tag zu spät, denn am bereits 1. Mai 1968 hatte er seinen seelsorgerischen Dienst in der Waldkirche angetreten. Der von seinem Kollege, Pfarrer Laubvogel, als „Einzelkämpfer“ und „Vollprofi“ bezeichnete Geistliche hat unter anderem die Einrichtung des Kindergottesdienst in der Gemeit1de etabliert, viele Gesprächskreise initiiert sowie den Posaunenchor „aus der Taufe gehoben“, dem er zunächst sogar selbst angehörte. Zu den Gratulanten gehörten neben dem „amtierenden“ Kollegen Laubvogel unter anderem auch sein Vorgänger in der Waldkirche, Pfarrer Debschitz, Vertreterinnen des Dekanatssynodalvorstandes sowie Vertreter der katholischen Pfarreien. 26)

Gottesdienst und Kirche stehen zwar im Zentrum der Gemeinde, sind jedoch nicht alles. Das Bürgerjahrbuch Obertshausen 1991/92 weist unter der Überschrift „Vereine in Obertshausen“ auch drei evangelische nach. Es handelt sich dabei um die Evangelische Jugend, den Evangelischen Kirchenchor sowie den Posaunenchor der evangelischen Kirche. 27)

Auch im „modernsten Rahmen“ ist die evangelische Kirchengemeinde von Hausen-Obertshausen zum Engagement bereit. Neben vielen anderen Gemeinden bot auch sie die Möglichkeit per Satellitenübertragung an der „Evangelisation“ durch den amerikanischen Fernsehprediger Billy Graham teilzuhaben, die vom 17.bis 21. März 1993 unter dem Motto „Pro Christ 93“ in der Essener Grugahalle stattfand. 28) Offenbar war der fünftägigen Veranstaltung ein großer Zulauf und damit Erfolg beschieden. 29) Diese Aktion stellte sozusagen eine (innere) Mission mit Hilfe modernster Technik dar.

 

Anmerkungen:

1) vgl. hierzu und zum Folgenden, H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 108ff.

2) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 109; J. Seuffert, Unser Hausen, S. 43

3) StAOH, X IV/2/-/1

4) vgl . hierzu und zum Folgenden H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 108f.

5) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 109

6) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 43

7) GPH, 25.6.1969

8) vgl. hierzu und zum Folgenden, H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 109f.; Seuffert, Unser Hausen, S. 44f.

9) GPH, 20.12.1967

10) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 45

11) HB, 7.1 .1956

12) GPH, 25.6.1969

13) GPH, 1’3.6. 1968

14) GFH. 21.8.1968

15) GPH, 16.11.1965

16) GPH, 25.6.1963

17) HB, 16.9.1977

18) Bürger-Jahrbuch 1989, S. ?

19) HB, 6.10.1983

20) HB, 17.4.1986

21) HB, 30.1.1987

22) HB, 23.6.1988

23) HB, 22.9.1988

24) OP, 7.8. 1991

25) OP, 9.12.1991

26) OP, 5.5.1993

27) Bürgerjahrbuch 1991/92, S. 57 u. 61

28) Der Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Obertshausen-Hausen, Februar/März 1993

29) Der Gemeindebrief der Evangelischen  Kirchengemeinde Obertshausen-Hausen, Juni /Juli 1993