Die Zeit im Kaiserreich
Der älteste noch aktive Sportverein in unserer Stadt ist der Turnverein Hausen – seine Gründung erfolgte im Jahr 1873. Vor 150 Jahre also, in der die Proklamation Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser durch Otto von Bismarck erst zwei Jahre her ist. Die Demokratie steckt zu dieser Zeit noch in ihren Kinderschuhen und erst durch die Aufhebung der Sozialistengesetze (1878 – 1890) ist es offiziell gestattet, Turn- und Sportvereine zu gründen. Vor dieser Zeit bestand immer die Gefahr, dass entsprechende Vereinsgründungen von der Obrigkeit untersagt bzw. bereits bestehende Vereine wieder verboten wurden.
Dieses Schicksal ereilte auch eine Vorgängervereinigung des TV Hausen, die sich bereits am 16. April 1861 gegründet hat. Es ist belegt, dass der TV Hausen zu dieser Zeit 22 Mitglieder umfasst, die alle dem Berufsstand „Handwerker“ angehören. 1866 wird der Verein jedoch verboten – wie es hieß „wegen der demokratischen Gesinnung“.
Über die Männer der ersten Stunde des 1873 wiedergegründeten Vereins ist kaum etwas bekannt, namentlich sind nur Jakob Keller und Johann Scheurich als Gründer genannt. Das aktive Vereinsleben dürfte damals aus regelmäßig abgehaltenen Turnstunden und aus der Durchführung von gesellschaftlichen Veranstaltungen, z. B. Weihnachtsfeiern, bestanden haben. Als Vereinslokal in dieser frühen Zeit wird das Wirtshaus „Zum goldenen Löwen“ genannt. Es befand sich in der Steinheimer Straße, gegenüber der Krone. Im Jahre 1885 hat der TV Hausen ein Gauturnfest ausgerichtet. Am 8. Mai 1898 findet, im Rahmen des 25jährigen Bestehens, zudem das Gau-Anturnen in Hausen statt. Ein bedeutender Meilenstein im Vereinsleben stellt der Übertritt in den Arbeiterturnerbund im Jahre 1907 dar, ein politisches Statement mit weitreichenden Folgen, wie der weitere geschichtliche Verlauf noch deutlich zeigen wird.
Durch den Eintritt des TV Hausen in den Arbeiter-Turnerbund positionierten sich die Mitglieder eindeutig auf die Seite der Arbeiterbewegung, die in der Weimarer Republik zum wichtigsten gesellschaftlichen Bindeglied wurde. Für den TV Hausen war dieser Schritt mit einer neuen Identität verbunden, zeigten die Mitglieder doch durch den Besuch zahlreicher Sportfeste in Nah und Fern ihre Solidarität mit der Arbeiterbewegung.
Die Zeit während der Weimarer Republik
Höhepunkte dieser Zeit waren zweifellos die Besuche großer Massen-Veranstaltungen zwischen 1922 und 1931. Den imponierenden Startschuss bildete die Teilnahme am 1. Deutschen Arbeiter- Turn- und Sportfest 1922 in Leipzig. 1925 gewann die jetzt „Freie Turnerschaft Hausen“ im Rahmen der Vorproben zur 1. Internationalen Arbeiterolympiade in Frankfurt zwei Titel, die Original-Urkunden sind im Karl-Mayer-Haus ausgestellt. Auch 1929 in Nürnberg und 1931 in Wien verzeichneten TV-Sportler bedeutende Erfolge (u. a. beim „Fußball-Dreikampf“), und trugen so den Namen des Vereins und der Gemeinde Hausen weit über die Ortsgrenzen hinaus.
Die am 25. Juli 1926 eingeweihte Turnhalle an der Herrnstraße in Hausen wurde von den Vereinsmitgliedern in Rekordzeit errichtet und zum stolzen Symbol des Vereinslebens, auch über dessen Vereinsgrenzen hinaus. 1932 baute der Verein sein Gelände mit einem Sportplatz inkl. 400m-Laufbahn aus.
Die zu Beginn des Jahres 1933 erstellten Jahresberichte des Vorstandes (Karl Kreher) und der Turnabteilung (Anton Döbert) für das Geschäftsjahr 1932 war noch von Zuversicht und Motivation geprägt, stand doch das Fest zum 60-jährige Vereinsjubiläum vor der Tür. Jedoch währte die Vorfreude nicht lange. Die NS-Machthaber verboten den TV Hausen im Juni 1933 und enteigneten das Vereinseigentum.
Vom Vereinsverbot 1933 bis zur Wiedergründung 1949
Nach den großartigen Leistungen des Vereins während der Weimarer Republik musste der TV Hausen vor fast genau 90 Jahren, am 8. Juni 1933, den schwärzesten Tag seiner Vereinsgeschichte verkraften. Als Mitglied des Arbeiter-, Turn- und Sportbundes (ATSB) war die politische Orientierung des TV Hausen kein Geheimnis. Die „Roten Turnbrüder“, wie die Arbeitervereine oft genannt wurden, standen auf der Liste derjenigen Organisationen, die dem NS-Regime ein Dorn im Auge war. Die Pressemeldung zum Vereinsverbot in der Offenbacher Zeitung bestätigte, was schon im Mai 1933 allen Bürgermeistern im Kreis Offenbach mitgeteilt wurde. Weitere 150 Vereine im Kreis teilten das gleiche Schicksal und wurden ebenfalls von der NSADP verboten.
Mit dem Verbot wurde das gesamte Inventar, z. B. die Vereinsfahne aus dem Jahre 1863, zerstört und das Vereinsvermögen enteignet, Die Turnhalle wurde von der Gemeinde Hausen am 1. Januar 1937 an den Bund Deutscher Mädel (BDM) vermietet und somit von den Nazis für ihre Zwecke missbraucht. Das Sportgelände selbst wurde aufgrund des „Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ umgeschrieben.
Viele Vereinsmitglieder schlossen sich den gleichgeschalteten Vereinen in Hausen an, Fußballer spielten beim FC Teutonia und Leichtathleten übten ihren Sport bei der TGS Hausen aus. Weitere Mitglieder hielten der Sängervereinigung Hausen die Treue.
Am 15. November 1947 wurde in der ersten Mitgliederversammlung nach Ende des 2. Weltkrieges Johann („Jean“) Simon als 1. Vorsitzender die Verantwortung für die Wiedergründung des Vereins übertragen. Zahlreiche formale Hürden mussten überwunden werden, bis der TV Hausen am 30. Mai 1949 in das Vereinsregister am Amtsgericht Offenbach eingetragen wurde. Das Original der Genehmigung durch die US-Militärregierung ist in der Ausstellung zu sehen. Der Grundstein für ein neues Vereinszeitalter war gelegt.
Die großen Vereinsfeste – als der „Frankfurter Wecker“ nach Hausen kam
Nachdem im Jahre 1948 das 75-jährige Bestehen nur in bescheidenem Maß gefeiert werden konnte, richtete der TV Hausen aus Anlass seines 80-jährigen Bestehens zusammen mit der TGS Hausen das Gauturnfest 1953 aus. Sowohl die neue TV-Vereinsfahne als auch das neue Banner des Turngaues Offenbach-Hanau wurde in diesem Rahmen feierlich geweiht. Ein grandioses Fest über drei Tage (Weckruf m Sonntagmorgen um 5.00 Uhr!) zog Tausende begeisterte Turnfreundinnen und Turnfreunde nach Hausen.
Nur zehn Jahr später platzten Bier- und Weinzelt 1963 zum 90-jährigen Jubiläum aus allen Nähten: Während am Freitagabend TV-Turnerinnen die Operette „Im weißen Rößl“ als Tanzspiel aufführten, sorgte am Festsamstag Ernst Mosch mit seinen Egerländer Musikanten für einen weiteren Höhepunkt. Doch damit nicht genug: Am Montagmorgen füllte der vom HR live übertragene „Frankfurter Wecker“ (Beginn: 06:30 Uhr!) für ein prall gefülltes Bürgerhaus.
Aber auch die Veranstaltungen zum 100-jährigen und zum 125-jährigen Bestehen sind noch vielen Bürgerinnen und Bürgern in Hausen und Umgebung in guter Erinnerung. Durch Wort, Bild und Ton wurde in der Ausstellung zum 150-jährigen Bestehen des TV Hausen, die vom 28. April bis 9. Juli 2023 im Werkstattmuseum „Karl-Mayer-Haus“ zu sehen war, die Geschichte des Vereins ausführlich präsentiert.