Chronik der Stadt Obertshausen von 1993
Obertshausen und Hausen im Strom der Zeit
Das Mittelalter in Obertshausen und Hausen
von Historiker Dr. Jörg Füllgrabe
Das Mittelalter
Der Begriff des „Mittelalters“ ist eine Erfindung der Historiker der Renaissance, die zwischen der hochgeschätzten Antike und ihrer eigenen Zeit, die klassischen Ideale wieder wertschätzte, eine Zwischenepoche sahen, in der vieles an Kultur und Bildung verlorengegangen war. Dabei verbinden sich mit dieser Unterteilung des geschichtlichen Flusses die grundsätzlichen Probleme nachträglich gesetzter Zäsuren.
Den wenigsten Augenzeugen und Zeitgenossen – nachträglich als solcher erkannter – weltpolitisch und -geschichtlich bedeutsamer Entscheidungen dürfte die Bedeutung des Erlebten tatsächlich in voller Konsequenz bewusst gewesenen sein, während andererseits manches, was von den Historikern unserer Tage kaum beachtet wird, für die damaligen Menschen existentielle Bedeutung besaß. Während wir etwa mit dem Jahr 1000 nach Christus nichts Wesentliches verbinden, glaubten die Menschen, die den Jahrtausendwechsel erlebten, mit fester Überzeugung daran, dass damit das Ende der Welt gekommen sei.1)
Andererseits sind die Jahreszahlen, die von der heutigen Forschung als die Zäsurdaten gedeutet werden, mit denen die Antike zu Ende ging und das Mittelalter begann und die mit diesen Jahreszahlen verbundenen historischen Ereignisse von den Augenzeugen sicherlich beachtet worden, kaum jemand dürfte damit aber einen Epochenwechsel verbunden haben. Mit anderen Worten: Die Menschen des Mittelalters waren sich der Tatsache, dass sie in einem sogenannten „Mittelalter„ lebten keineswegs bewusst. Dies gilt natürlich auch für die Bewohner unserer Region, die die Bedeutung weltgeschichtlich bedeutsamen Ereignisse, wenn sie diese überhaupt registrierten, kaum erkannt haben dürften, zumal die meisten von ihnen auf die relevanten Entscheidungen keinerlei Einfluss hatten.
Will man das Mittelalter als „nachrömisch“ definieren, begann es im Rhein-Main-Gebiet mit dem Fall des Limes in der Mitte des dritten Jahrhunderts. Das Mittelalter als eine Epoche, die in gewissem Sinne eine Kontinuität bis in die Moderne aufweist, lässt sich eher mit der Konsolidierung der fränkischen Herrschaft in unserem Raum verbinden.
Diese frühmittelalterliche Zeit ist insofern noch ein „dunkles“ Kapitel, als Informationen über diesen Zeitraum nur in geringem Maße vorliegen und schriftliche Quellen nur spärlich fließen. Erst im Zuge weiterer Entwicklungen, in deren Folge auch eine verbesserte Verwaltungsstruktur und damit verbunden eine erweiterte Schriftlichkeit – also ein relativ höherer Alphabetisierungsgrad aufkam, werden die Aussagemöglichkeiten genauer. Die Dorfgründungen von Obertshausen und Hausen fallen nun aufgrund ihrer Namenform vermutlich in die Periode des karolingischen Binnenausbaus, also in das fortgeschrittene Frühmittelalter.
Hierbei ist die Erwähnung Obertshausens im Zinsregister der Abtei Seligenstadt ein deutlicher Hinweis auf den Zeitpunkt, an dem die Gründung des Dorfes erfolgt sein muss, während die Verhältnisse bei Hausen anders liegen. Zwar enthält das besagte Zinsregister auch einen Namen husen – also Hausen, der jedoch ohne weiteren Zusatz aufgeschrieben wurde. Da Seligenstadt ausgedehnte Besitzungen hatte, ist nicht zu beweisen, dass das „husen“ des Zinsregisters tatsächlich unser Hausen ist. Absolute Sicherheit einer schriftlichen Ersterwähnung
bietet hier erst die Schenkungsurkunde des deutschen Königs und nachmaligen Kaisers Heinrichs des IV. aus dem Jahre 1069. Auch diese Beurkundung erfolgte in einer Zeit, die sich noch in das frühe Mittelalter datieren lässt. Im Falle Hausens ist hierbei die Namenkunde hilfreich, die eine ungefähre Datierung der Ortsgründung ins 8. oder 9. Jahrhundert zulässt.2)
Die Tatsache, dass die Urkunden, in denen Obertshausen und Hausen erstmalig Erwähnung finden, ein Zinsregister bzw. eine Schenkungsurkunde sind, deutet schon darauf hin, dass es mit der Selbstverwaltung und Eigenständigkeit der beiden Ortschaften im Mittelalter nicht allzu weit her gewesen sein kann. In der Tat wurde das Mittelalter durch eine Gesellschaftsform geprägt, die den einzelnen Menschen in ein starres Gefüge einpasst, das durch eine deutliche Strukturierung gekennzeichnet war.3)
An der Spitze dieser deutlichen Hierarchie stand der König bzw. Kaiser, dann folgten Adel und Klerus, die ihrerseits innere Rangstufen hatten, schließlich kamen die Bauern und an letzter Stelle standen die Halb- und Unfreien, deren Rechte extrem eingeschränkt waren. Die Stadtbewohner könnte man – sehr vereinfacht – zunächst als eine Art „Sonderfall“ der freien Bauern bezeichnen. Im Lauf des Mittelalters gewannen sie jedoch als freie Bürger und Kaufleute immer mehr Rechte, während die Bauern in zunehmendem Maße in die Abhängigkeit, die Leibeigenschaft, gedrückt wurden.
Dieses Gesellschaftssystem war in sich mehrfach insofern aufgegliedert, als die verschiedenen Abhängigkeiten sozusagen ineinander verschachtelt waren. Der König war der oberste Lehnsherr, der Land und Leute an Angehörige des Hochadels vergeben konnte. Die Vertreter dieser Gruppe wiederum vergaben ihren Besitz nachgeordneten Kleinadeligen zu Lehen und diese konnten als Grundbesitzer das Land an Bauern verleihen, die es bearbeiten und für die Bearbeitung Abgaben zahlen mussten. Natürlich gab es sozusagen ein Stück außerhalb dieses Systems königlichen oder adeligen Besitz, der nicht verliehen wurde, sondern in der eigenen Nutznießung der Besitzer verblieb, wie es andererseits auch Bauern gab, die eigene Hofstellen bewirtschafteten.
Der Sinn dieses komplexen Systems von Verflechtungen bestand darin, eine möglichst effektive Form der Herrschaft zu etablieren. Da letztlich die auch Könige nicht völlig unabhängig zu schalten und walten vermochten, waren sie darauf angewiesen, durch die großzügige Vergabe von Nutzungen – also Lehen – ihre Anhänger zufriedenzustellen. Diese verhielten sich ähnlich, bis am Ende dieser Kette die Ausbeutung der Bauern durch ihren direkten Grundherrn stand.
Diese Unterstellung unter einem Grundherrn war natürlich mit Pflichten verbunden, die den Bauern auferlegt wurden. Diese bestanden in Abgaben und Frondiensten, Arbeiten also, die für den Leib- bzw. Grundherrn geleistet werden mussten. Dieses System von Verpflichtungen endete nicht einmal mit dem Tode. Ursprünglich hatte der Leibherr das Recht, nach dem Tod eines Leibeigenen dessen gesamte Habe für sich zu beanspruchen. Dieses Recht wurde allmählich dahingehend gemindert, dass der Herrschaft beim Tod des Mannes nur noch das beste Stück Vieh (das Besthaupt), beim Tod der Frau deren bestes Kleid (Bestkleid) zustand.4)
Die sich hieraus ergebenden Folgen waren weitreichend. Mit dem Entzug des Besthaupt als oft genug einzigem Stück Großvieh wurde der Familie die Möglichkeit der Milchproduktion und des Einsatzes des Tieres als Zugtier genommen, was unter Umständen die wirtschaftliche Grundlage und damit die Existenz der Familie zerstören konnte. Aber auch die Abgabe des Bestkleid konnte – wenn man sich vor Augen hält, dass es bis in die Neuzeit hinein durchaus nicht ungewöhnlich war, ein Kleidungsstück über mehrere Generationen zu vererben bzw. es sogar abwechselnd zu benutzen – zu erheblichen Einschränkungen führen.5)
Die Komplexität dieser Vorgänge und nicht zuletzt die Tatsache, dass die geschaffene Machtbalance sehr instabil war, erklärt, warum es immer, wieder zu Störungen des Systems kam und vor allem warum immer wieder Schenkungen notwendig waren, die das System stabilisierten. Eine Begleiterscheinung dieser Schenkungsvorgänge waren entsprechende Beurkundungen, die heute eben unter anderem zur Erstdatierung von Orten herangezogen werden können. Deutlich wird aber auch, dass die Angehörigen der niederen Stände kein Recht an sich besaßen, sondern in Abhängigkeit von Grundherren standen, also bestimmten Herrschaftsverhältnissen unterworfen waren. In dieses System von Herrschaften waren natürlich auch Obertshausen und Hausen integriert.
Anmerkungen:
1) etwa H. Weddige, Einführung in die germanistische Mediävistik, S: ll ff.
2) Demandt, Geschichte des Landes Lessen, S. 106
3) Taschenlexikon Geschichte, S. 130ff.
4) Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 197ff.
5) Ohler, Sterben und Tod im Mittelalter, S. 93f.
Obertshausen im Mittelalter:
Obertshausen liegt in demjenigen fränkischen Siedlungsbereich, der die Bezeichnung Maingau trug. Geographisch umfasste der Maingau im Wesentlichen den östlichen Bereich der Region Dreieich. Der Sinn dieser Gaue bestand darin, übersichtliche Verwaltungseinheiten zu schaffen, die es erlauben sollten, die entsprechenden Regionen effektiv in die Gesamtherrschaft einzubinden, die dem König bzw. dem Kaiser oblag. Der fränkische Bereich arbeitete hier mit einer zweigleisigen Verwaltung. Im Westen bestanden nach römischem Vorbild die Civitates weiter, denen ein sogenannter Comes vorstand, im Osten war die Verwaltungseinheit der Pagus – der Gau, dem ein als Grafilo bezeichneter Beamter die Führungsposition innehatte. 1)Die hierfür zuständigen „Beamten“ waren die sogenannten Gaugrafen, ihre Aufgabe bestand darin, die Verselbständigung nichtköniglicher Herrschaften – etwa im Zuge von Lehensmißbrauch – zu verhindern, indem sie eine Art Subregierung verkörperten und überdies Rechtsbefugnisse innehatten.
Obertshausen fand deutlich früher als Hausen erstmals schriftliche Erwähnung. In einem Zinsregister der Abtei Seligenstadt aus der Mitte des 9. Jahrhunderts genauer um 865 – findet sich unter anderem die Notiz: „de oberdu.eshu.son Bernhard 12 d“- offenbar- war·ein Bauer, der das Hofwerk „Oberdueshuson/Obertshausen“ bewirtschaftete zur Zinsabgabe von 12 Denaren an die Abtei Seligenstadt als Eigentümerin des Hofes verpflichtet.2)
Diese urkundliche Erwähnung fällt in eine Epoche des fortgeschrittenen frühen Mittelalters, die in der Fachsprache als karolingisch bezeichnet wird. Dieser Begriff leitet sich von der damaligen Herrscherfamilie ab, deren bedeutendster Vertreter – Karl der Große – für diese Namensgebung Pate stand. Die Zinsauflistung im Kloster Seligenstadt, das damals einen ansehnlichen Grundbesitz um Obertshausen sein Eigen nennen konnte, erfolgte allerdings nach dem Tode Karls unter der Regierungszeit seines Enkels Ludwig des Deutschen, der – sein Name deutet es bereits an – der erste König eines Herrschaftsgebietes war, das, früher als Ostfranken bezeichnet, nunmehr den Namen Deutschland führte.3)
Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass Obertshausen bereits vor seiner ersten schriftlichen Erwähnung existierte, dem Namen nach – wie das Nachbardorf Hausen auch – eine Schöpfung der „zweiten fränkischen Gründungswelle„, die im 8. und 9. Jahrhundert stattfand.4) Wie Hausen gehörte auch Obertshausen in den Maingau, der später in untergeordnete Verwaltungsgebiete aufgeteilt wurde, für unseren Bereich war das der sogenannte Rodgau.
Obertshausen gehörte ebenso wie Hausen in .den Besitz zunächst Wiggers und Gottfrieds von Hausen – den wahrscheinlichen Bauherrn der Burg im Hain – um dann gleichfalls in den Besitz der Hainhausener überzugehen. Ein gewisser Udalrich aus der Linie der Hainhausener schenkte, das geht aus einem Verzeichnis der Mainzer Erwerbungen zwischen 1109 und 1137 hervor, im Jahre 1124 ein munitionem Oberoldeshusun – eine Befestigungsanlage bei Obertshausen also – an den Erzbischof Adalbert von Mainz. Auch in Obertshausen gab es relativ früh mainzische Besitzstände, die möglicherweise -wie vielleicht auch in Hausen – dazu führten, dass das Interesse der Mainzer Erzbischöfe an unserer Gegend so ausgeprägt war. Zunächst jedoch ging Obertshausen, wie auch Hausen, in den Besitz der Grafen von Eppstein über, deren Bedeutung allein schon aus der Tatsache ersichtlich ist, dass aus ihrem Geschlecht fünf Mainzer Erzbischöfe hervorgingen. Im Jahre 1535 allerdings teilte auch diese Familie das Schicksal derer zu Hausen, sie starb aus.5)
Im 13. Jahrhundert jedoch war die Linie der Eppsteiner noch nicht bedroht, als Reichsvasallen waren sie Besitzer von Dorf und Burg Hussenstam, dem heutigen Heusenstamm. Damit war es ihnen gelungen, ein weiteres wichtiges Besitztum in unserer Region zu erlangen. Das Jahr 1223 war unter anderem durch Auseinandersetzungen zwischen Eppstein und dem Mainzer Stephans-Stift um einige Güter in Hausen gekennzeichnet, die allerdings durch einen Vergleich beigelegt werden konnten.6)
Heinz Kahl zitiert in seiner Obertshausener Chronik aus leider nicht näher bezeichneten – Urkunden in denen der Name Hindersimen bzw. Hinderseemen vorkommt. Dieser – untergegangene – Ort soll zwischen Obertshausen und Hausen gelegen haben. Interessant ist nun die Folgerung Kahls, aus einer näheren Bezeichnung Hausens als „Hausen bei Hindersimen“ habe sich die Ortsbezeichnung „Hausen hinter der Sonne“ entwickelt. Allerdings führt er nicht nur diese These zur Erklärung an, sondern auch die Möglichkeit, dass die zwei in Eppsteiner Besitz befindlichen Hausen durch die Bezeichnung „vor“ bzw. „hinter der Sonne“ hätten auseinandergehalten werden sollen. Allerdings dachte er bei dem westlicheren Hausen an den heutigen Frankfurter Stadtteil.
Schenkungen und damit teils unübersichtliche Wechsel
der Besitzverhältnisse gehörten im Mittelalter und auch noch der frühen Neuzeit zur „Tagesordnung“. So verschenkte Mechildis, die Tochter des Seligenstädter Zentgrafen, ihren gesamten Besitz in Seligenstadt und Oboldehusen dem Zisterzienserkloster Patershausen. 1328 erfolgte die Übertragung des Grätenwäldchens an den Deutschen Orden, der damit zu einem nicht unbedeutenden Grundbesitzer in Hausen und Obertshausen wurde. Im Jahre 1340 verkauften Gottfried V. von Eppstein und seine Frau Lorette den bei Obratshusin gelegenen Wald Daz Eygen – „Das Eichen (wäldchen) – an das in der Wetterau gelegene Kloster Arnsburg, was deswegen nicht uninteressant ist, weil ein Johann als Schultheiß von Obertshausen genannt wird. Dieser Johann dürfte somit der erste namentlich bekannte Obertshausener Bürgermeister, Schultheißen waren ja quasi die „Bürgermeister der Frühzeit“, gewesen sein.
Ein anderer früher Obertshausener Name ist der des Bauern Heyle Liben, der im Jahre 1366 drei Achtel Korngült zu einem Preis von 36 Pfund Heller an das Frankfurter Deutschordenshaus in Sachsenhausen verkaufte.7) Die Gewichtsangabe bei der Währungseinheit Heller kommt daher, weil dieser als kleinste Kupfermünze in Gewichtseinheiten abgewogen wurde. Heyle Liben scheint ein eher wohlhabender Zeitgenosse gewesen zu sein, denn bereits im Jahre 1371 wurde sein Name wieder urkundlich festgehalten, als es um den Verzicht des Eppsteinischen Nachfolgers Gottfried V. geht, Rückkaufansprüche aus dem Eichenwäldchenverkauf geltend zu machen.
Trotz der hohen Bedeutung der Eppsteinischen Familie war es keineswegs so, dass diese während ihrer glanzvollen Zeit niemals in finanzielle Engpässe geraten wären. Nur so scheint erklärbar, dass in einer Urkunde vom 31. Mai 1371 Eberhard von Eppstein sowie seine Gemahlin Agnes Schloss und Stadt Steinheim an ihren Neffen Ullrich von Hanau verpfändeten. Unter diesen Besitztümern befanden sich auch Obertshausen und Hausen.8)
Die Verpfändung jedoch scheint lediglich eine vorübergehende Angelegenheit gewesen zu sein, denn Gottfried VIII. von Eppstein verkaufte im Jahre 1425 Das Amt Steinheim mit Obertshausen an den Mainzer Erzbischof Conrad III. gegen den Preis von 38.000 Florentiner Gulden (daher die Abkürzung fl). Die nunmehr mainzischen Dörfer Obertshausen und Hausen gelangten für einige Zeit als Lehen in den Besitz der Herren von Heusenstamm
Die Besitzverhältnisse in Obertshausen waren allein deswegen unübersichtlich, weil die Grundherrschaften nicht „durchgängig“ waren, neben dem „Hauptherren“ gab es oft noch eine Reihe weiterer Grundbesitzer, die Rechte an landwirtschaftlicher Fläche und deren Erträgen geltend machen konnten. In Obertshausen waren dies etwa der Deutsche Orden sowie das Kloster Patershausen.9)
Um 1576 gab es in Obertshausen 27 Haussitzer, darunter zehn hanauische und 5 isenburgischen Leibeigene. Diese Gruppe – auch mit dem Begriff Häusler zu bezeichnen besaßen einen eingeschränkten rechtlichen Spielraum, sie waren, anders ausgedrückt, keine vollwertigen Freien. Dies entspricht der weiter oben angedeuteten Tendenz, die Rechte der freien Bauern immer mehr zurückzudrängen und diese in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Grundherren zu bringen.10)
Eine wichtige Pflicht der Haussitzer lag in der Einhaltung der bereits im Jahre 1540 durch den Mainzer Kurfürsten erlassene Feuerordnung. überdies war jede Gemeinde angehalten, sich mit „Feuerlöschgerät“, Eimern, Feuerhaken und Leitern, auszurüsten und die einzelnen Orte wurden überdies angehalten, sich Nachbarschaftshilfe zu leisten.
Angesichts der aus relativ leicht entflammbaren Materialien gebauten Häusern, Schilfdächer waren keine Seltenheit, das Material der Wände war ohnehin Holz, ist der erzbischöfliche Erlass kaum als schikanöse Einschränkung der geringen Freiheiten der Untertanen, sondern als eine aus Erfahrungswerten gewonnene Maßnahme zu werten, die durchaus ihre Berechtigung hatte.
Der Übergang von der rechtlichen Minderfreiheit in den der tatsächlichen Leibeigenschaft war fließend. Die Formen der Leibeigenschaft waren im Obertshausen des Jahres 1550 auf Zehnten, Pächte, Zinsen, Gefälle und Gülten (verschiedene Formen von Zins, die in Form von Fronden und Naturalien vom Grundherren eingefordert wurden) beschränkt, so dass sich vorsichtig von einer „moderaten“ Form der Abhängigkeit sprechen lässt.
Im Gegensatz zu den sogenannten Sklavenhaltergesellschaften der Antike war das durch die Durchsetzung germanischer Gesellschaftsstrukturen geprägte frühe Mittelalter zwar sicherlich kein Paradies von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, aber aufgrund des nicht so perfekt durchstrukturierten Sozialgefüges waren zumindest in gewissem Rahmen die Grenzen durchlässiger. Die Masse der Bevölkerung waren Freie, die dementsprechend Einfluss auf die hierarchischen Normen ausüben konnten.
Allerdings darf man sich das System nicht als SchwarzWeiß-Bild vorstellen, wenngleich Karl der Große in einer Rechtsauskunft die Formel geprägt haben soll: „Man ist entweder ein Freier oder ein Unfreier, dazwischen gibt es keine dritte Möglichkeit“.11) Bereits in der Antike hatte es im Sklavenstand Abstufungen der verschiedensten Art gegeben, so dass es – zumal gebildet – Sklaven gab, die es durchaus zu Besitz und Ansehen bringen konnten.
Entsprechend lässt sich auch für das europäische Mittelalter ein Prozess belegen, der die Starrheit des gesellschaftlichen Systems, die in der obigen Rechtsauslegung Karls des Großen zum Ausdruck kommt, deutlich widerlegt.12) Mit der Veränderung der Kriegstechnik und -taktik erwies es sich als notwendig, die schwerbewaffneten Panzerreiterheere auch aus eigentlich Unfreien zu rekrutieren, die Folge war eine deutliche Statusverbesserung der entsprechenden Hörigen, die in der Folge aus ihrer Abhängigkeit entlassen wurden. Auch über den Umweg der Reichskirche als sozusagen erweitertem Königsgut erlangten sogenannte Ministeriale, die ursprünglich in Abhängigkeit standen, Freiheit und Adel. So stiegen Unfreie über die Mittelschicht hinaus in die Nobilität auf, ohne – das ist eigentlich überraschend – zunächst sofort ihren Status als Abhängige zu verlieren. Aus diesen sozialen Umschwüngen heraus mögen auch die Hausener Herren in ihre Adelsposition aufgestiegen sein.
Allerdings waren nicht alle Abschnitte des Mittelalters für solche Dynamik gleich offen und vor allem gab es neben den Aufstiegs- durchaus auch Abstiegsmöglichkeiten. Diese negative Tendenz betraf in erster Linie diejenigen, ob Freie oder Abhängige, die nicht durch aus dem Rahmen fallende Leistungen für die Krone oder große Territorialherren die Möglichkeit zur Etablierung besaßen – in erster Linie also die Landbevölkerung.
Das für uns heute auf den ersten Blick so typisch mittelalterliche System der Leibeigenschaft stellt eine spätere Entwicklung dar, die nicht zuletzt aus den Schwierigkeiten herrührte, einen Staatsverband zu erhalten, in dem die verschiedensten gesellschaftlichen Kräfte zentrifugal wirksam waren. Diese Tendenzen zur Auflösung des Reichsverbandes wurden eben auch durch das Bestreben nach Konzentration von potestas – von Macht also- manifest, wobei der Zugewinn an Macht auf Kosten schwächerer Kräfte erfolgte. Paradoxerweise waren dies im deutschen Mittelalter die Zentralmacht, mithin König bzw. Kaiser, aber auch die am Ende der Hierarchie stehenden Bauern.13)
Am Ende dieser Entwicklung stand die Leibeigenschaft, die für die Leibeigenen einen nahezu rechtlosen Status mit sich brachte. Die Leibeigenschaft war vererblich, Kinder von Leibeigenen waren demnach automatisch Leibeigene, selbst dann, wenn ihre Eltern ursprünglich Freie gewesen waren. Dieser Zustand wurde nur allmählich wieder etwas relativiert, erste Ansätze in diese Richtung erfolgten im Zeitalter des Humanismus, aber erst die Aufklärung und in ihrem Gefolge die französischen Revolution führten zu einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse, bis die Leibeigenschaft im vorigen Jahrhundert aufgehoben wurde.
Die Fron- oder Herrendienste, die von den Bauern zu leisten waren, umfassten beispielsweise Arbeiten, die auf den nichtverpachteten Herrengütern zu leisten waren, daneben waren Dienstverpflichtungen für öffentliche Zwecke zu erfüllen. Neben den Fronden, den Arbeitsleistungen also, mussten die Bauern auch noch Abgaben wie den Zehnten leisten. Überdies kamen noch steuerähnliche Abgaben wie etwa das Besthaupt hinzu, bei dem die Erben nach Ableben eines Bauern dazu verpflichtet waren, das beste Stück Vieh an den Grundherren abzuliefern.14)
Die ursprünglich auf einer gewissen Gegenseitigkeit beruhenden Verhältnisse, in denen der Grundherr nicht nur Nutzen sondern auch Verpflichtungen zu tragen hatte, verschoben sich immer mehr zuungunsten der Bauern. Der als Gegengabe für den Dienst der Bauern eingebrachte militärische Schutz durch den Grundherrn war ein schwacher Ersatz für die bäuerlichen Leiden,
zumal der Grundherr sehr oft gar nicht in der Lage war, seine Bauern etwa gegen Übergriffe anderer Herren zu schützen, im Gegenteil wurde es zu einer beliebten Art adliger Auseinandersetzungen, die militärischen Aktionen auf dem Rücken der jeweiligen Bauern auszutragen.
Das System von Zins und Herrendienst galt natürlich auch für Obertshausen und Hausen. Beide Orte gehörten zur Herrschaft Heusenstamm und die Wohnsitznahme in ihnen führte automatisch zur Leibeigenschaft. Die Einwohner Obertshausens hatten einige Hand- und Spannfronde abzuleisten.15)
Zu den Handfronden gehörten das Briefetragen über eine Meile Wegs, das Treiben bei Jagden, das Mähen und Einernten des Grases, das Fällen und Aufschichten von Brennholz sowie das Spinnen von einem Pfund Flachs durch jede der Untertanenfrauen. Unter die Spannfronde fielen das An- und Abfahren der Zehtnfrüchte, das Einfahren von Holz, Heu und Grummet sowie das Anfahren von Baumaterialien.
Von 1666 bis 1722 lassen sich die Ableistungen der Fronden nachweisen. Ab dem Jahre 1722 wurden die Naturalleistungen durch das sogenannte Fronde-Geld abgelöst. Die Aufhebung der Leibeigenschaft in Hessen erfolgte im Jahre 1811. Mit dem 25 Mai, dem Martini Tag, dieses Jahres hörte „alle Gutsuntertänigkeit“ auf.16) Diese Entwicklungen vollzogen sich allerdings nicht mehr im Mittelalter, sondern in einer Epoche, die von den Historikern als Neuzeit bezeichnet wird.
Gerichtsbarkeit allerdings gab es bereits in mittelalterlicher Zeit. Das für unsere Region zuständige „Zentgericht“ fand vermutlich zunächst im Herrschaftszentrum der Hainhausener Herrschaft, dem nach dieser Familie benannten Hainhausen, statt. Später wurde das Gerichtszentrum nach Steinheim verlegt, eine Entwicklung, die die Formierung des Amtes Steinheim einleitete. In die Gerichtsbarkeit Steinheims gehörten natürlich Steinheim, Hörstein, Kahl, Groß-Welzheim, Krotzenburg, Hainstadt, Klein-Auheim, Groß-Auheim, Nieder-Steinheim, Dietesheim, Mühlheim, Meielsheim (ein aufgelassener Ort bei Mühlheim), Bieber, Lämmerspiel, Weiskirchen, Hainhausen, Rembrücken, Jügesheim, Nieder und Oberroden sowie Hausen und Obertshausen.17′
Das sogenannte Zentgericht in Steinheim setzte sich neben dem vorsitzenden Zentgrafen (auch als Vogt bezeichnet) sowie vierzehn Schöffen zusammen. Später wurde auch die richterliche Funktion des Zentgrafen durch den Amtmann des Steinheimer Amtes übernommen. Verhandelt wurden Angelegenheiten des Zivil- sowie Strafrechts. Dabei dürften Meinungsverschiedenheiten in Fragen des Pachtrechts und ähnlicher Probleme den Großteil der Verhandlungen im Zivilrechtsbereich bestimmt haben, während in strafrechtlich relevanten Fällen wohl in erster Linie Betrug, Diebstahl, Raub und Körperverletzung gestanden haben dürften. Mordfälle kamen vermutlich seltener vor, konnten aber selbstverständlich auch verhandelt, abgeurteilt und – erinnert sei an den Steinheimer Galgen – vollstreckt werden.
Das Amt Steinheim reduzierte sich jedoch nicht auf die Ausführung der Gerichtsbarkeit, sondern bezog sich auch auf die Kellerei, die das für die Steuereinnahmen zuständige Gremium war. Der Amtskellerei stand ein Kellner vor, dessen Aufgabe in der fristgemäßen Eintreibung der Steuern bestand. Er hatte über die meist in Naturalien gelieferten Abgaben Buch zu führen und selbstverständlich darüber Rechenschaft abzulegen.
Die Bede war eine direkte Vermögenssteuer, die ihre Wurzeln in der Gerichtsherrlichkeit hat. Ursprünglich war die Bede, der Name sagt es, eine Steuer, die im Fall besonderen Bedürfnisses vom Grundherrn „erbeten“ wurde. Erst im Zuge der weiteren Entwicklungen wurde aus der Bede eine feste Steuer.18)
Diese war für das Steinheimer Amt von zwanzig Dörfern zu erbringen. Diese Verhältnisse hielten sich über das E de des Mittelalters hinaus bis in die Neuzeit. Erst mit der Obernahme der Administration unserer Gegend durch den Staat Hessen wurden die hier geschilderten Aufgaben dem Amt Steinheim entzogen.
Die Bauernaufstände des 16. Jahrhunderts berührten mit Sicherheit auch Obertshausen, ·wobei nicht ganz deutlich wird, inwieweit sich Obertshausener Bauern den Forderungen ihrer Hausener Nachbarn angeschlossen haben. Diese Unruhen wurden durch die permanente Verschlechterung der bäuerlichen Lebensbedingungen verursacht, daran, dass sie jedoch offen ausbrachen war sicherlich auch der neue Geist, der sich mit den Ideen von Humanismus und Reformation verband, beteiligt.19)
Inwieweit Anhänger der neuen Konfession in Obertshausen Fuß fassten, ist schwer zu beurteilen, e gab sicherlich Einzelne, die der lutherischen Lehre angehörten. Das Ergebnis des Augsburger Religionsfriedens, wonach jeder Untertan die Religion seines Landesherren auszuüben hatte oder das Land verlassen musste, führte im zu Mainz gehörigen Obertshausen dazu, dass alles beim alten blieb. Die Grausamkeiten, die bereits die Bauernkriege -und hier vor allem die Vergeltung der Herren an ihren bäuerlichen Untertanen gekennzeichnet hatten, wurden noch übertroffen durch das, was während des – zunächst religiös motivierten – Dreißigjährigen Krieges geschah, der in ein völlig sinnloses Schlachten ausartete.
Dieser von 1618 bis 1648 dauernde Wahnsinn fand allerdings in einer Epoche statt, die nicht mehr zum Mittelalter gezählt werden kann, der sogenannten Neuzeit.
Anmerkungen:
1) R. Schneider, Das Frankenreich, S. 44ff.
2) Bürgerjahrbuch Obertshausen 1991/92, S. 9
3) vgl. R. Schneider, Das Frankenreich, S. 26ff.
4) vgl. K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 106
5) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 15
6) vgl. hierzu und zu Folgendem H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 22f.
7) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 26
8) vgl. hierzu und zu Folgendem, H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 26f.
9) vgl. G. Hoch, Geschichte der Main-Rodgau-Landschaft, S. 15f.
10) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 28f.
11) H. Wolfram, Das Reich und die Germanen, S. 107
12) vgl. H.-W. Goetz, Leben im Mittelalter, S. 116ff.
13) E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 327ff.
14) E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 161
15) vgl. hierzu und zu Folgendem H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 29f.
16) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 31
17) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 31ff.
18) Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Sp. 346fff.
19) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 36ff.
Hausen im Mittelalter:
Die Rahmenbedingungen, die für Obertshausen galten, treffen auch für Hausen zu. Auch Hausen lag im Maingau und unterlag später zunächst der Herrschaft des Hausener Geschlechts, um dann an die Familie von Hainhausen zu fallen und schließlich in Eppsteiner Besitz überzugehen.
Die Namen der Maingaugrafen kennen wir aus verschiedenen Urkunden, die seit dem 8. Jahrhundert überliefert sind. Namen dieser Gaugrafen sind beispielsweise Rupertus (773), Warinus (800), Drogo (815), Eberhard (975), Gerlach (1013) und Gerhard (1069). Zwar sind somit einige der Namen der Maingaugrafen auf uns gekommen, dies gilt jedoch nicht für die Kenntnis ihres Amtssitzes.1)
Die Möglichkeit, dass dieser sich auf dem Alten Hof in der Hausener Gemarkung befand, womit Hausen das Zentrum des Maingaus gewesen wäre, ist weder zu beweisen noch zu widerlegen. Allerdings spricht sehr viel dafür, dass es sich bei den später erwähnten Herren von Hausen und Hainhausen zumindest um die Rechtsnachfolger der Maingaugrafen gehandelt hat. Damit ist allerdings noch keine Aussage darüber möglich, ob es sich bei diesen Adeligen um direkte Erben- Verwandte also- der letzten Gaugrafen gehandelt hat.
Ganz von der Hand zu weisen ist dies jedoch nicht, denn die Entwicklung dahin, dass Gaugrafen, die als Angehörige des niederen oder Dienstadels ursprünglich die Aufgabe hatten, Machtkonzentrationen des Hochadels zu verhindern, sich selbst ihnen nicht zustehende Rechte anmaßten, war keineswegs außergewöhnlich. Zu solchen Erscheinungen kam es immer dann, wenn die Zentralmacht – das Königtum also geschwächt war. Ein erster Schritt in diese Richtung war immer die Vererbung des ursprünglich nur auf Lebenszeit geltenden Grafenamtes, eine Entwicklung, die durchaus auch im Maingau stattgefunden haben kann und als deren Ergebnis die Herren von Hausen auf den Plan traten.
Der Name des Hausener Geschlechts leitete sich möglicherweise von der Ortschaft -dem heutigen Ortsteil von Obertshausen – Hausen ab, in deren unmittelbarer Nachbarschaft sich, wie oben angedeutet, der vermutliche Sitz dieser Adeligen – der Alte Hof2) befunden haben könnte.
Inwieweit der Alte Hof mit dem in Urkunden aus dem 13. und frühen 14. Jahrhundert erwähnten Hof zu Hausen identisch ist, lässt sich schwer sagen. Dieser „Hof“ befand sich im Besitz des Klosters Seligenstadt, bevor er – zusammen mit anderen Gemarkungsteilen wie dem Paradies und dem Paradieswäldchen – zunächst in den Besitz Frankfurter Bürger überging um dann schließlich kurmainzisch zu werden. Im Jahre 1576, wird der „Hof“ unter der Rubrik der herrschaftlichen Wiesen aufgeführt. Möglicherweise war der „Hof“ aufgrund der Pestepidemie aufgelassen worden, auf jeden Fall war er im ausgehenden sechzehnten Jahrhundert nur mehr eine Wüstung. Das im Mainzer Diözesanverzeichnis auftauchende geheimnisvolle Hintersemen, von dem sich jede deutliche Spur verloren hat, könnte möglicherweise mit dem, „Alten Hof“ in Verbindung stehen, der dann mehr als nur ein Bauernhof im heutigen Sinne gewesen wäre und eine Kleinsiedlung dargestellt hätte.
Nach diesem Einschub über den „Alten Hof“ und das mysteriöse „Hintersemen“ zurück ins zwölfte Jahrhundert und zu den Herren von Hausen3).Frühe Namen dieser Herren von Hausen sind Wigger und Gottfried von Hausen. Seide Namen lassen sich Urkunden aus den Jahren 1143, 1144 sowie 1151 entnehmen. Weitere Informationen werden allerdings aufgrund der schlechten Quellenlage kaum greifbar.
Die Hausener Herren sind nur für einen kurzen Zeitraum historisch greifbar und es erscheint auch unwahrscheinlich, dass hierbei die mangelhafte Quellenlage die historischen Ereignisse extrem verfälscht. Erstaunlich ist diese Tatsache allerdings deshalb, weil sie offenkundig einen bedeutenden Besitzstand innehatten, der nicht nur Obertshausen, Hausen, Lämmerspiel und Steinheim, sondern wohl das gesamte spätere Amt Steinheim umfasste. Das wiederum scheint die Vermutung zu untermauern, dass es sich bei den Hausenern in der Tat um ehemalige Gaugrafen gehandelt hat, denen es zunächst gelungen war, ihre Position im Maingau zu vererben, die sich aber vermutlich einerseits gegen ältere, bodenständigere Adelige nicht behaupten konnten und deren Erblinie überdies relativ schnell ausstarb.
Der Zerfall der karolingischen Zentralmacht führte im 9. und 10. Jahrhundert zur Bildung von kleinregionalen Machtzentren, deren Kennzeichen auch in der Anlage von befestigten Adelssitzen bestand. Ein „materielles“ Erbstück, das die Hausener Herren uns hinterlassen haben, ist die Burg im Hain, die mutmaßlich im Zuge dieser Neigung zur Befestigung von Herrensitzen erbaut wurde. Auch die Anlage dieser Turmburg deutet darauf hin, dass die Hausener eine gewisse Machtposition und Bedeutung gehabt haben müssen.
Nachfolger der Hausener Herren, deren letzter erwähnter Spross offenbar Gottfried von Hausen war, wurde die Familie von Hainhausen – auch als Hagenhausen bezeichnet. Möglicherweise erfolgte deren Etablierung durch Einheirat, wenn Gerhard der II. von Hainhausen eine Tochter Gottfrieds geheiratet hätte. Allerdings sind dies bis dato lediglich Vermutungen, genauso denkbar wäre es, dass die Hainhausener das Erbe derer von Hausen durch Gewalt oder Schiedsspruch erlangt haben könnten. Die Hainhausener verlegten ihren Sitz und damit auch das Zentrum ihre Herrschaft auf jeden Fall von Hausen nach Steinheim. In Folge begründeten sie das Amt Steinheim, auf das später auch ihre Rechte übergingen.4)
Mit der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts (möglicherweise seit dem Jahr 1185) ging der Besitz der Hainhausener und damit auch die ehemalige Herrschaft derer von Hausen einschließlich des Ortes Hausen in die Hände der Herren von Eppstein über. Der erste dieser Linie, der als Grundherr über diese Gebiete bekannt ist, ist ein gewisser Gerhard I. von Eppstein.
Nach 1189 trat ein Gottfried I. von Eppstein auf den Plan, der sich in der Umgebung Hausens ebenfalls großer Besitztümer erfreuen konnte. Gottfrieds Bruder, Siegfried, wurde im Jahre 1200 Erzbischof von Mainz. Trotz der Tatsache, dass es sich um die Angehörigen einer Familie handelte, gab es innerhalb der Eppsteiner Auseinandersetzungen, von denen der Vergleich zwischen Siegfried und den Brüdern Gottfried II. und Gerhard II. über ihre Güter in Hausen unseren Ort betraf. Trotz seiner Stellung als Geistlicher wollte Siegfried offenbar nicht völlig auf seine „weltlichen“ Ansprüche verzichten und so kam es zu diesen Rechtsdifferenzen, deren Beurkundung lange Zeit als erste schriftliche Erwähnung Hausens galt.
Hält man sich vor Augen, wie kurz jeweils sowohl Hausener als auch Hainhausener sich ihrer Herrschaft erfreuen konnten, ist man fast versucht davon zu sprechen, dass offenbar ein Fluch auf der Hausener Grundherrschaft gelegen zu haben scheint, der zu einem schnellen Aussterben dieser Familien geführt haben muss.
Allerdings bietet sich hier ein Erklärungsansatz, der eine wesentlich weniger dramatische Lösung des oben angesprochenen Problems denkbar macht. Dass die etwa von Seuffert angeführte Argumentation, die Eppsteiner seien erst in den letzten Jahrzehnten des zwölften Jahrhunderts, dann aber sofort als mächtiges Geschlecht, in das „Rampenlicht der Geschichte“ getreten5), für den weiter von ihm erwogenen Gedankengang nicht unbedingt als argumentativer Mosaikstein zu verwenden ist, wird allein daran deutlich, dass auch die Herren von Hausen sehr plötzlich und dann gleich sehr besitzreich auftauchen.
Es fällt hierbei in der Tat eine Erscheinung ins Auge, die bei den gegenwärtigen Gebräuchen zwar bedeutungslos wäre, für das Mittelalter jedoch nicht vernachlässigt werden darf. Mittlerweile haben Vornamen – zumindest in unseren Breiten – keine tiefergehende Bedeutung mehr, sie unterliegen vielmehr teils abstrusen Modeerscheinungen, anhand derer sicherlich Aussagen über die Zeit als Ganzes, kaum aber über die einzelnen Menschen als Mitglieder einer Familie gemacht werden können.
Im Mittelalter – und auch lange Zeit später noch – war das jedoch anders.6) In diesen Zeiten wurden Vornamen quasi vererbt, eine Erscheinung, die ursprünglich noch aus jenen Zeiten herrührte, als mit der Vergabe des Namens eines bedeutenden Vorfahren dieser einerseits „lebendig gehalten“ werden, andererseits seine hervorragenden Eigenschaften an den Nachkommen übergehen sollten. Hatten sich diese alten Vorstellungen wahrscheinlich zwar verloren oder zumindest abgeschwächt, war die Namensvergabe doch ein Mittel, die Zugehörigkeit zu einer Familie deutlich zu machen.7)
Auffällig ist nun, dass die männlichen Angehörigen derer von Eppstein häufig die Namen Gerhard oder Gottfried tragen, Vornamen, die auch aus dem Umfeld der Hainhausen-Hausener bekannt sind. Überdies trug der letzte Maingaugraf den Namen Gerhard. Seuffert führt in seiner Argumentationskette außerdem an, dass die Linie der Hainhausen-Hausener just in dem Moment verschwanden, als die Familie von Eppstein auf der Bildfläche erscheint um dann zu folgern: „Auf Grund dieser Feststellungen besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Herren von Hainhausen-Hausen in den Herren von Eppstein weiterleben.“ Hierbei folgt Seuffert Hoch, der in seinem Aufsatz „Das Geschecht von Hainhausen Eppstein“8) diese Möglichkeit aufzeigt.
In der Tat ist diese Überlegung verlockend, es erscheint allerdings fraglich, ob wirklich „kein Zweifel“ mehr daran besteht. Zwar war es im Frühmittelalter in der Tat nicht außergewöhnlich, dass sich aufgrund der „kognatisch“ gedachten Sippenstruktur durch eheliche Verbindungen Zuordnungen des Mannes auch in die Familie der Ehefrau und damit ein Namenwechsel ergab, im hohen Mittelalter, mit dem elften und zwölften Jahrhundert also, wandelte sich das Verständnis hin zu einer „agnatischen“ Familienauffassung, das heißt, die Vererbung des Familiennamens wurde ausschließlich über die männliche Linie üblich.9)
Gerade der adelige Geschlechterstolz, der sich auch in der „Vererbung“ von Namen manifestiert, lässt es zumindest fraglich erscheinen, dass (der erschlossene) Gottfried III. von Hainhausen nachdem er durch die von Seuffert erwogene Einheirat in Besitz der Burg Eppstein gekommen wäre, den Namen seiner Familie abgelegt und den der Sippe seiner Frau angenommen haben sollte. Überdies ist die Familienlinie der Hainhausen-Hausener zu kurz um eine stringente, allein auf das Namenargument aufgebaute Aussage zu erlauben und sowohl Gerhard als auch Gottfried sind Namen, die sich nicht durch übergroße Seltenheit auszeichnen.
Darüber hinaus wäre es denkbar, dass der Name Herren von Hausen sich von dem anderen eppsteinischen Hausen – dem Hausen vor der Sonne – herleitete, mit unserem Hausen dem östlichen oder Hinter der Sonne gelegenen – also nichts zu tun hatte. Dann wäre es auch weiterhin denkbar, dass die Herren dieses „Westhausens“ eine Seitenlinie der Eppsteiner darstellten, die zwei Hausen in ihrem Besitz hatten. Dies würde eine Tradierung der Namengleichheit wahrscheinlicher machen.
Mit gleicher Wahrscheinlichkeit lässt sich daran denken, dass die Eppsteiner die Hainhausen-Hausener beerbt haben bzw. durch Einheirat in den Genuss der entsprechenden Besitzrechte gekommen sind. Denkbar wäre darüber hinaus auch die Möglichkeit, dass die Eppsteiner einem anderen Zweige der Familie angehörten, zu der auch die Hainhausen-Hausener zählten ·und durch Erbfolge in den Besitz der Gebiete des Amtes Steinheim gekommen wären. Aber -grau ist alle Theorie -ohne zweifelsfreie Urkunden werden sich eindeutige Aussagen nicht treffen lassen. Damit bleibt für uns nur zu bemerken, dass mit dem Ende des zwölften Jahrhunderts die Herrschaft über unseren Raum in die Hände der Familie von Eppstein überging.
Die Tatsache, dass die Eppsteiner in der Wetterau und im Spessart, neben den Gebieten im Taunus und am Main, bedeutenden Grundbesitz hatten, trug sicherlich dazu bei, dass aus dieser Familie im dreizehnten Jahrhundert einige Mainzer Erzbischöfe hervorgegangen sind. Allerdings fanden unter der Herrschaft der Eppsteiner immer wieder Aufteilungen des Hainhausen-Hausener Gebietes statt, zumeist wurden die Frauen dieser Familie mit entsprechendem Grundbesitz bedacht.10)
Diese wiederum nutzten die entsprechenden Liegenschaften nicht nur für die eigene Versorgung, sondern vergaben diese oft als Stiftungen, etwa an das Kloster Seligenstadt, dass gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts um den „Alten Hof“ zwanzig Morgen Feld erhielt. Der Deutsche Ritterorden bekam um den Beginn des vierzehnten Jahrhunderts das „Grafenwäldchen“, die „Deutsch-Herrenwiesen“ sowie später noch einen Teil des „Paradiesfeldes“. Auch der Mainzer Erzbischof Peter von Mainz erwarb um 1320 um Hausen Liegenschaften, die sich zuvor im Besitz Elisabeths von Hohenlohe befunden hatten.
Mit dieser Erwerbung, die sozusagen das Fanal einer anschließenden Entwicklung darstellte, fasste das Mainzer Erzbistum deutlich Fuß in unserer Region. Der wirtschaftliche Niedergang der Eppsteiner Familie führte dazu, dass die Angehörigen dieser Familie einen Großteil ihres Besitzes veräußern mussten. Im Jahre 1425 veräußerte Gottfried VIII. von Eppstein Burg, Stadt sowie das gesamte Amt Steinheim einschließlich seiner neunzehn Dörfer – Obertshausen und Hausen gehörten auch dazu – für 38.000 Gulden an den Mainzer Erzbischof und gleichzeitigen Mainzer Kurfürsten Konrad von Dhaun. Damit gelangte unsere Region unter Mainzer Herrschaft. 11)
Mit dem Verkauf verzichtete Gottfried von Eppstein sowohl für sich als auch für seine Nachkommen auf alle „Zölle, Rechte, Männer und Mannschaften, auf die Wälder, Wildbanne und Fischereien sowie auf alles, was unter und auf der Erde ist„.12) Die Festlegung, dass der Verzicht auf das Amt Steinheim und die mit ihm verbundenen Rechte auch für die Zukunft gelten sollte, war eine notwendige Übereinkunft, um künftigen Ansprüchen von Seiten der Eppsteiner gegen Mainz einen Riegel vorzuschieben.
In dieser Erklärung Gottfrieds wird auch seinen Untertanen und allen ihren Nachkommen, gleich ob geistlich oder weltlich, einschließlich übrigens aller Verwaltungsbeamten des Amtes Steinheim, befohlen, „dem Erzbischof Konrad seinen Nachkommen und dem Stift zu geloben, zu huldigen und zu schwören gehorsam zu sein“. Auch von Seiten der Bewohner und der Beamten des Steinheimer Amtes sollte der Mainzer Herrschaft keinerlei Gefahr drohen. Die Vorsichtsmaßnahme war offenbar notwendig, um zu verhindern, dass die unsichere Zeit des Herrschaftswechsels von ehemaligen Gefolgsleute Gottfrieds dazu ausgenutzt werden konnte, etwaige Eigeninteressen auf Kosten der Mainzer durchzusetzen.
Der Verkauf des Amtes Steinheim an den Erzbischof von Mainz erfolgte am 23. April -dem St. Georgstag – des Jahres 1425, rechtskräftig wurde der Vorgang mit der Besiegelung des Vertrages durch die Eppsteiner Gottfried VIII., seinen Bruder Eberhard und seine Söhne Aylt und Gottfried.
Damit war unsere Region einem mächtigen Herrn unterstellt, der als Kurfürst auch reichsweit über großen Einfluss verfügte. Der Umbau des Steinheimer Schlosses und die Einrichtung eines Benefiziates in Steinheim mag die Bedeutung unterstreichen, die die Neuerwerbung für den Mainzer Erzbischof besaß. Der Inhaber dieses Benefiziates war seinerzeit gleichzeitig Pfarrer der Pfarrei Lämmerspiel und hatte damit auch die geistliche Betreuung Obertshausens und Hausens inne.
Die Verwaltungsstrukturen des alten Steinheimer Amtes blieben weitgehend erhalten. Die Amtmänner – später wurde der Stelleninhaber in den Rang des Oberamtmannes erhoben – erledigten die regionalen Verwaltungsaufgaben der kurmainzischen Regierung. überdies führten die Amtmänner den Vorsitz über das Landgericht Steinheim und die Aufsicht über die „Zentgrafen“. Diese wiederum• standen den Zentgerichten vor, die eine Instanz unter dem Landgericht angesiedelt waren. Das für Hausen und Obertshausen zuständige Zentgericht fand ursprünglich in Steinheim unter der Gerichtslinde statt, nach seiner späteren Umwandlung in ein Landgericht wurde es im Steinheimer Rathaus abgehalten. Aus jedem der dem Gericht unterstellten Orte wurden Schöffen für den Gerichtstag ernannt.
Wichtig war die Friedensformel eine Erscheinung, die auch für die Thingversammlungen germanischer Zeit galt und somit als mögliches Relikt dieser Vergangenheit anzusehen ist. Die Friedensformel wurde im Namen des Mainzer Erzbischofs verkündet und enthielt folgende Wendung: „Darüber tue ich Fried and Bann, dass keiner dem andern an diesem löblichen Landgericht Zwang antue, er tue es denn mit Erlaubnis. Ich erlaube das Recht and verbiete das Unrecht. Ich verbiete auch, dass keiner sein Wort tue, er tue es denn mit Erlaubnis. Ich verbiete, dass kein Schöffe den Stuhl räume, er tue es denn mit Erlaubnis.“13)
Das Strafmaß wurde nach der Schwere des Vergehens festgesetzt; zuständig für diese Festsetzung waren der Zentgraf und die Gerichtsschöffen. Dabei wurde keineswegs zimperlich vorgegangen. Im Gegensatz zur heutigen Auffassung der Strafe als Buße mit der anschließenden Möglichkeit zur Resozialisierung stand der Vergeltungsgedanke deutlich im Vordergrund. Der Steinheimer Galgen – er befindet sich noch heute im Wald zwischen Steinheim und Dietesheim – verdeutlicht, dass auch Todesurteile gefällt und vollstreckt wurden.14)
Das Vierteljahrtausend direkter kurmainzischer Herrschaft war durch dramatische Wandlungen gekennzeichnet. Es sind Zeiten, in denen die Reformation die Glaubenswelt in Erschütterung versetzte, in der der Humanismus neue Werte setzte, in der es Katastrophen – Seuchen und kriegerische Auseinandersetzungen – gab. Bauernaufstände mit dem Ziel, eine bessere wirtschaftliche und soziale Lage zu erreichen – wir erinnern uns, im Laufe des Mittelalters wurde die Situation der Bauern immer schlechter – schlugen letztlich fehl.
Von der großen Bewegung der Bauernkriege im Jahre 1525 wohl nicht mitgerissen, gab es in Hausen dennoch Versuche, die bestehenden Verhältnisse zu verbessern. Sie erklärten sich zwar bereit, für Roggen, Weizen, Hafer und Gerste die großen Zehnten – also Korn- und Fruchtzehnt – zu entrichten, forderten aber den Wegfall der kleinen Zehnten, also der Abgabe von Heu, Ferkeln, Lämmern, Gänsen und Hühnern. Weiterhin sollte die Besthaupt-Abgabe entfallen, die Erben also der Verpflichtung enthoben werden, beim Tod des Erblassers das beste Stück Vieh an den Grundherrn abzuführen. Überdies verlangten sie die Aufhebung der Frondienste oder Fronden. Ausgefochten wurden diese Forderungen allerdings nicht in einem Aufstand, sondern in einem Prozess, in dem die Bauern letzten Endes im Jahre 1529 unterliegen und sich somit an den Verhältnissen bis weit in die Neuzeit hinein nichts Wesentliches ändert.15)
1550 und 1553 waren Pestjahre, die die Bevölkerung erheblich dezimierten. In Hausen scheinen die Auswirkungen der Epidemie besonders krass gewesen zu sein, bei einer Musterung des Amtes Steinheim im Jahre 1554 wurden lediglich zwei Hausener für die Türkenfeldzüge verpflichtet. Jügesheim (11), Weiskirchen(12) und Lämmerspiel (7) mussten deutlich mehr Mannschaft stellen. Allerdings wurden die Hausener bei der materiellen Ausrüstung stärker herangezogen. Da es offenbar nicht zu nennenswerten reformatorischen Bestrebungen in unserem Gebiet gekommen war, setzte der Augsburger Religionsfriede („cuias regia, eias religio“ – Wessen Herrschaft, dessen Bekenntnis) für unser engeres Gebiet lediglich den Status Quo fest.16) Eine friedliche Entwicklung bis zum Vorabend des Dreißigjährigen Krieges ging damit einher. Damit freilich haben wir – nach Historikerdefinition – das Mittelalter hinter uns gelassen und befinden uns in einer neuen Epoche: Der Neuzeit.
Anmerkungen:
1) Schneider, Das Frankenreich, S. 44ff.
2) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 6
3) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 4
4) Gemeinde Post Hausen, 31.12.1968
5) vgl. hierzu und zum Folgenden J. Seuffert, Unser Hausen, S. 6f.
6) vgl. J Seuffert, Unser Hausen, S. 7
7) G. Koß, Namenkunde, S. 27f
8) Hoch, Das Geschlecht von Hainhausen-Eppstein, S. 21 ff.
9) H.-W. Goetz, Leben im Mittelalter, S. 37ff.
10) vgl. K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 450ff.
11) Gemeinde Post Hausen, 31.12.1968
12) J. Seuffert, Unser Hausen, S. 9
13) zitiert nach J. Seuffert, Unser Hausen, S. 9f
14) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 10
15) Festschrift 100 Jahre Gesangverein Sängerlust, S. 19
16) Gemeinde Post Hausen, 31.12.1968
Die Bedeutung von Sprache und Namen
Ein großes Problem geschichtlicher Überlieferung ist das Fehlen oder die Lückenhaftigkeit von schriftlichen Quellen. Im Fall unserer Heimatstadt spannen sich von den vorgeschichtlichen Funden bis zu den urkundlichen Erwähnungen bzw. zur „Burg im Hain“ mehrere Jahrhunderte, in denen Informationen nur spärlich fließen, sofern sie überhaupt vorhanden sind. So ist anzunehmen, dass auch in der vorrömischen Eisenzeit Menschen den Raum Obertshausen berührten. In vermehrtem Maße gilt dies vermutlich für die römische Zeit aus der zukünftige Bodenuntersuchungen möglicherweise eindeutige Funde bringen werden.
Das Besondere der Zeit nach den Römern ist die Tatsache, dass es sich dabei um eine Periode handelt, die praktisch bis zum heutigen Tag ohne größere Brüche der ethnischen Verhältnisse fortdauert. Die Epoche der Völkerwanderung, die später dann in das Mittelalter übergeht, verbindet sich mit dem Namen der Germanen, die die zahlenmäßig bedeutsamste Gruppe unter den Vorfahren der Deutschen stellten. Auch in vorrömischer Zeit mag es hier bereits germanische Siedler gegeben haben, die dann in den Verband der Chatten einzuordnen sind. Mit der Völkerwanderung gewann das germanische Element jedoch völlig andere Dimensionen.1)
Zunächst formierten sich mit den Alemannen oder Alamannen ein Großverband, der etwa ab der Mitte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts in unserer Region siedelte. Dass die Sprache dieser Germanen dem Deutschen ähnlich sein muss, geht bereits aus der Tatsache hervor, dass wir ihren Namen verstehen.2)
Allerdings waren die Alemannen nicht die letzten germanischen Einwanderer in unseren Raum. Die Franken die Frechen = Tapferen – erwiesen sich als noch durchsetzungsfähiger.3) Obertshausen und Hausen sind der Namenform nach fränkische Gründungen. Der Name „ hausen“ hat – das ist für uns heute noch verständlich etwas mit Sich-Niederlassen zu tun.
Da Namen auf „-hausen“ im 8. und 9. Jahrhundert 4) – also zur Zeit der Karolinger – in Mode kamen, lässt sich das Alter der beiden Obertshausener Ortsteile in etwa auf 1200 Jahre schätzen. Neben schriftlichen Zeugnissen und Bodenfunden stellt demnach die Namenüberlieferung eine weitere wichtige Quelle zur Erforschung der Geschichte dar.
Dabei ist es kaum verwunderlich, dass sich die Namenformen im Laufe der Jahrhunderte änderten, durchlief doch auch die deutsche Sprache seit den Zeiten der ersten Erwähnung Obertshausens eine Entwicklung vom Althochdeutschen über das Mittel- und Frühneuhochdeutsche bis zum modernen Neuhochdeutschen unserer Tage. Dabei ist die Sprache einem lebendigen Organismus vergleichbar, der verschiedene Stadien durchläuft und einer stetigen Veränderung unterliegt. Auch die Sprache ist einem permanenten Wandel unterzogen, der sich durch die Existenz einer normierten Schriftsprache vielleicht nicht sofort auswirkt, aber allmählich doch Wirkung zeigen wird. In diesem Zusammenhang sei nur auf die Übernahme angloamerikanischer Worte und Wendungen in die deutsche Sprache erinnert.
Auch Ortsnamen, obwohl sie konservativer als etwa umgangssprachliche Wendungen sind, unterliegen den oben angedeuteten Mechanismen. Für Obertshausen änderte sich der Name im Laufe seiner Geschichte mehrfach, wie die folgende Tabelle auflisten soll 5):
865 – Oberdueshuson
1100 – Oberolueshusen
1228 – Abrachtishusen
1234 – Oberoldeshusen
1280 – Oboldeshusen
1282 – Oberoldeshuszen
1288 – Oberzhusen
1340 – Obratshusin
1371 – Obirachteshusen
1425 – Oberhusen
1446 – Obertzhusen
1466 – Oberzhusen
1542 – Obbertshusen
1572 – Oberzhuszen
1688 – Obertshausen
An dieser, aus verschiedenen Urkunden entnommenen, Liste der veränderten Namenformen wird bereits eine Entwicklung deutlich, wobei sich drei Gruppen ergeben, die älteste, in der Ersterwähnung „Oberdues-„, dann – zwischen 1100 und 1282 „Oberol-„ und schließlich die Entwicklung zu „Oberz-„, die zur heutigen Namensform weist. Ein Sonderfall sind „Abrachtis-„, „Obrats-„ sowie „Obirachtes-„, die offenkundig einer insgesamt recht einheitlichen Abweichung folgen, wobei die Form von 1228 eine versuchte Latinisierung des Namens darstellen könnte.
Von historischem Wert ist die Ersterwähnung Obertshausens insofern, als hieran frühe Herrschaftsverhältnisse deutlich werden. Die Erwähnung des Ortes Oberdueshuson im Zinsregister des Klosters Seligenstadt von 865 dokumentiert die Tatsache, dass dieses Kloster in Obertshausen Besitz hatte. Exakt heißt es in diesem Register: „De oberdueshuson Bernhard 12 d„. Ein gewisser Bernhard, der die Besitzungen des Klosters in Obertshausen bewirtschaftete hatte diesem also Abgaben in Höhe von 12 Denaren zu leisten. Der „Denar“ war eine ursprünglich römische Silbermünzsorte, die bis ins frühe Mittelalter hinein in Deutschland
Verwendung fand. In der deutschen Übersetzung heißt der frühmittelalterliche Denar „Pfennig“, der Wert lag bei einem zweihundertvierzigstel Pfund Silber.6)
Eine Auflistung der verschiedenen Namenformen für Hausen ergibt folgendes Bild 7)
1069 – villa(m) Hyson (Dorf Hausen)
1223 – Husen apud castrum Steynheym (Hausen bei dem Schloss Steinheim)
1287 – Husen posterior (Hinteres Hausen)
1302 – Hinderhusen
1317 – Husen prope castrum Steinheim (Hausen nahe bei Schloss Steinheim)
1337 – Hausen hinder Sunnen
1339 – Husin hinder der Sunnen
1397 – Husin hindir der Sunnen
Wenig später setzte sich der Name Hausen hinter der Sonne durch, der die Bezeichnung des Dorfes bis in unser Jahrhundert hinein blieb.
Zur ersten urkundlichen Erwähnung Hausens ist zu anzumerken, dass diese innerhalb einer Urkunde erfolgte, die anlässlich der Schenkung des damaligen deutschen Königs und späteren deutschen Kaisers Heinrich IV. erfolgte. Objekt der Schenkung war „Neubruchland in der Dreieich beim Dorf Hausen („villam Hyson“) in der Grafschaft des Grafen r3erhard“. Die glücklichen Empfänger saßen im Kloster Sankt Jakob in Mainz, denen der damals neunzehnjährige König diese Zuwendung möglicherweise im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit seinem Vater als Bestechungsgeld sozusagen widmete.
Auffällig ist im Rahmen der Auflistung der überlieferten Bezeichnungen des Ortes die Konstanz des Husen-Namens, die Veränderungen werden nur anhand der Zusatzbezeichnungen deutlich. Auch hier sind drei Gruppen auszumachen, zum einen Hausen als in der Nähe von Schloss Steinheim gelegen, dann Hinterhausen woraus sich schließlich die Bezeichnung Hausen hinter der Sonne entwickelte.
Dieser Zusatz geht, wie weiter oben erwähnt, auf die Zeit der der eppsteinischen Herrschaft über unsere Region zurück. Die Herren von Eppstein hatten einen weiter westlich gelegenen Ort in ihrem Besitz, der ebenfalls „Hausen“ hieß. Von einer Mittagslinie aus befand sich nun dieses „vor“ der Sonne, während unser Hausen „hinter“ der Sonne – genauer gesagt des Mittelpunktes des imaginären Sonnenlaufes – lag.
Eine Anmerkung sei zum Schluss noch gestattet. Zwar kann Obertshausen die ältere Schriftliche Erwähnung für sich in Anspruch nehmen, der Namenbestandteil „-hausen“ weist allerdings darauf hin, dass beide Orte – Obertshausen und Hausen – im gleichen Zeitraum gegründet wurden. Darüber hinaus legt die namenkundliche Betrachtung beider Namen sogar nahe, dass Hausen ein wenig älter sein könnte. Die Tatsache, dass Obertshausen eine Spezifizierung des Hausen-Namens darstellt, deutet darauf hin, dass es in unmittelbarer Nachbarschaft bereits einen Ort mit Namen Hausen gab, von dem die Gründung „Obertshausen“ deutlich erkennbar unterschieden werden sollte.
Anmerkungen:
1) K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 84ff.
2) D. Baatz, Die Römer Eroberer und Lehrmeister, S. 34ff.
3) R. Schneider, Das Frankenreich, S. 5ff.
4) K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 106
5) nach: H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, Anhang
6) E. Bayer, S. 93 u. S. 410
7) nach: J. Seuffert, Unser Hausen, S. 5
Die Burg im Hain
Für die Existenz der Befestigungsanlage, die wir heute noch unter dem Namen Burg im Hain kennen, gibt es bereits frühe schriftliche Belege. Da in diesen Belegen die Burg im Zusammenhang mit der Beschreibung Hain oder Hayn genannt wurde, mag an eine Lage im Wald gedacht werden. Dies wäre allerdings für eine mittelalterliche Befestigungsanlage eher ungewöhnlich, deren Sinn darin bestand, die Umgebung zu beherrschen und deren Verteidigungskonzeption darauf beruhte, eine mögliche gegnerische Annäherung sehr früh zu bemerken.
Da die Hainburg ihrer Anlage nach keine Fliehburg war, für die eine versteckte Lage im Wald typisch gewesen wäre, sondern ein Repräsentations- und Verteidigungsbauwerk, steht zu vermuten, dass der Zusatz „im Hain“ erst zu einer Zeit aufgekommen ist, als die Burg zumindest ihre strategische Bedeutung verloren hatte.
Die schriftliche Oberlieferung für die Anlage ist spät und im Grunde wenig aussagekräftig. Im Steinheimer Salbuch – Obertshausen gehörte seinerzeit ja zum Steinheimer Zentgericht – findet sich für das Jahr 1576 folgende, die „Burg im Hain“ betreffende Eintragung: „item der Hayn umb die Borgk ist 9 morgen und stosst uff Epenstein“. Der neun Morgen große Wald, der sich offenbar um die Burganlage erstreckte bildete demnach die Grenze zu den Eppsteiner Besitzungen, die in Obertshausen immerhin ein Hofgut mit 150 Morgen landwirtschaftlicher Nutzfläche und 30 Morgen Wiesen umfaßten.1)
Diese- im Großen und Ganzen doch sehr dürftigen – Angaben über die Hainburg lassen sich den schriftlichen Quellen entnehmen und mögen mancherlei Information und zumindest grobe Datierungshilfen bieten, die es jedoch zu hinterfragten gilt. Allerdings wollten die Menschen immer mehr als bruchstückhafte Informationen besitzen und so regte die Burg, von der aufgrund von kriegerischen Zerstörungen, mehr noch aber wegen des Missbrauchs als „Steinbruch“ im Laufe der Jahrhunderte nur mehr Fundamentreste verblieben waren, die Phantasie der Nachgeborenen an.
Ein Produkt dieser Bestrebungen, Licht in das Dunkel der Vergangenheit zu bringen, ist das Aquarell der Hainburg, das auf kuriose Weise entstand. Zwei Hausener entdeckten Ende des vergangenen Jahrhunderts in einem Frankfurter Trödelladen eine Skizze der Burg. Da sie nicht das Geld besaßen, diese zu erwerben, aber auch die Gemeinde nicht über die nötigen Finanzmittel verfügte – Obertshausen gehörte seinerzeit zu den drei ärmsten Gemeinden im Kreis Offenbach, machten sich die beiden wackeren Entdecker der Kostbarkeit an die Arbeit des Abzeichnens. Später wurde die Kopie dann zu einem Mainzer Maler gegeben, der das heute noch vorhandene Aquarell anfertigte. Ob diese Anekdote wirklich Realität ist, sei dahingestellt, sicher ist in jedem Fall, dass besagtes Aquarell eine Anlage darstellt, die ein Grimm’sches Märchenschloss sein könnte, die „Burg im Hain“ hat mit Sicherheit niemals so ausgesehen 2).
Diese desillusionierende Erkenntnis verdanken wir nicht zuletzt den archäologischen Grabungen, die 1964 3) erstmals von Karl Nahrgang durchgeführt wurden und 1974 4) durch Nachuntersuchungen unter Klaus Ulrich einige bedeutsame Ergänzungen erfahren haben. Dabei waren die Erhaltungsbedingungen keineswegs optimal, die Burg als Steinbruch wurde bereits oben angesprochen, überdies wurde sie bis in die dreißiger Jahre hinein als Gartenanlage genutzt und vor der Deklarierung als Naturschutzgebiet gab es einen ausgedehnten Schriftwechsel, weil ein Pächter des Areals dieses weiterhin landwirtschaftlicher Nutzung zuführen wollte5).
Legende ist es allerdings wohl, wenn Dr. Bruder mit seinen Kindheitserinnerungen einer Fama aufgesessen ist, nach der bis in das vergangene Jahrhundert hinein Menschen die unterirdischen Räume der Burg als Wohnung genutzt haben sollen 6).
Aber auch ohne die Weiternutzung als „Kellerwohnung“ besaß die Burg eine gewisse Anziehungskraft und die Tatsache, dass Schulkinder in den Gemäuern immer wieder nach „Schätzten“ suchten, mag Beweis genug dafür sein, wie sehr die noch deutlich sichtbaren Reste – neben den Mauern waren es vor allem der noch erkennbare Wall mit Graben – die Menschen beeindruckten. Immerhin fanden bei diesen „Schatzsuchen“ gelegentliche interessante Kleinigkeiten – wie etwa Schlüssel – den Weg ans Tageslicht 7).
Wie oben bereits angedeutet, konnten beide Grabungen die reizvollen Vorstellungen von der Burg im Hain als eines Märchenschlosses nicht bestätigen, förderten aber dennoch allerhand interessantes Faktenmaterial zutage. Die Kampagnen Nahrgangs ergab aufgrund der Ergebnisse von mehreren Schnitten und der Freilegung kleiner Flächen eine gemörtelte Ringmauer von durchschnittlich 2,2 Metern Breite. Die aus den verschiedensten Gesteinen wie Basalt, Trachyt, Kalkstein und Arkosesandstein errichtete Mauer umschloss eine etwa 28 x 31 m große Fläche. Die Rekonstruktion ließ sich trotz der Verluste an Mauersubstanz infolge sekundärer Verwendung – also Abbruch – ziemlich eindeutig erschließen.
Eine 1 Meter breite Berme trennte die Ringmauer von dem vorgelagerten Graben, der durch den in diesem Bereich hohen Grundwasserspiegel vermutlich immer mit Wasser gefüllt war. Holzpfähle mit Querbalken verhinderten das Abrutschen der steilen Böschung des inneren Grabenrandes und trugen zur Stabilisierung des Systems bei. Die Sohle des – leider nicht geschnittenen Grabens vermutete Nahrgang bei etwa 2,5 bis 3 Metern. Ein Zugang konnte bei den Grabungen nicht lokalisiert werden.
In der Mitte der befestigten Fläche konnte ein Turm nachgewiesen werden, dessen Fundamente unmittelbar auf dem alten Humus aufsaßen. Das Hofareal hingegen wurde von einer Auffüllschicht bedeckt, die aus dem Grabenaushub stammte. Die inneren Mauerreste ergänzte Nahrgang analog zu den Befunden von Dreieichenhain und Eschborn zu einem rechteckigen Turm mit einer Fundamentkantenlänge von 7,8 x 9,2 Metern. Diesen Ergebnissen nach hätte die Obertshausener Niederungsburg also eine kleinere Schwester der Burganlage in Dreieichenhain sein müssen6).
Die im Jahre 1974 unter der Leitung von Klaus Ulrich durchgeführte Nachgrabung – sie erfolgte im Vorfeld einer Umwandlung des Bereichs in ein Naturschutzgebiet – revidierte die Ergebnisse Nahrgangs insofern, als die Befunde auf einen runden Turm schließen ließen. Das Bauwerk mit einem Außendurchmesser von 10,2 Metern und einer Fundamentmauerstärke von 2,4 Metern – eine Notwendigkeit angesichts der großen Bodenfeuchtigkeit stellte die Innenbebauung der Burganlage dar.
Aufschlussreich war auch der Keramikfundstoff, der aus Auffüll- und Abbruchschichten stammt. Die meisten der Stücke sind sogenannte „Pingsdorfer Ware“, daneben fand sich rauhe grautonige und glatte gelblich-weiße Keramik. Das Material, das aus regionaler Produktion stammt, zu denken ist hierbei etwa an das Spessartvorland, bietet ein relativ einheitliches Bild und erstreckt sich über einen zeitlichen Horizont, der vom ausgehenden 10. bis ins 12. Jahrhundert reicht 9).
Trotz der Tatsache, dass die Burg im Hain einen runden Turm besaß, also vom Aufbau der Dreieichenhainer Burg abwich, kann sie dennoch nicht isoliert betrachtet werden. Das Entstehen kleinerer Burganlagen als Sitze adliger Familien ist eine weitverbreitete Erscheinung, die keineswegs auf den Rhein-Main-Raum beschränkt war. Das Auftauchen dieser Anlagen – verwandte Typen im Westen sind etwa die sogenannten „Motten“ – ist mit einem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse in Verbindung zu bringen, der die soziale Stellung des niederen Adels anhob. Umwehrte Wohnanlagen lassen sich im mitteldeutschen, niederrheinischen und hessischen Bereich bereits für das ausgehende 9. Jahrhundert nachweisen. Eine Stärkung dezentraler Kräfte führte dazu, dass solche Turmburgen, die Wehrhaftigkeit und Selbstbewusstsein ihrer Erbauer symbolisierten, Verbreitung fanden 10).
Die Erbauer der Obertshausener Burg bleiben im Dunkeln der nicht durch schriftliche Quellen aufgehellten Geschichte. Allerdings dürften die Herren Wigger und Gottfried von Hausen, deren Namen aus Schriftquellen des 12. Jahrhunderts bekannt sind, in Zusammenhang mit der „Burg im Hain“ stehen, wobei diese vermutlich als Stammsitz derer zu Hausen anzusehen ist. Das dürfte auch recht gut zur Entstehung dieses Geschlechts aus dienstadligen Maingaugrafen passen. Unter den nachfolgenden Hainhausenern und Eppsteinern verlor die Burg allerdings ihre Bedeutung; während der Turm der vergleichbaren Anlage im benachbarten Dreieichenhain als Eckturm in die staufische Befestigung integriert wurde, wurde die Obertshausener Burg aufgegeben 11).
Damit werden auch die Überlieferungen, die Burg habe in späterer Zeit einen unterirdischen Geheimgang besessen, ins Reich der Legende verwiesen. Möglicherweise diente die Anlage nach ihrer Aufgabe tatsächlich als Versteck für die Landbevölkerung, besaß aber sicherlich keinen strategischen Wert mehr und somit ist auch kaum damit zu rechnen, dass die Burg im Dreißigjährigen Krieg Opfer einer bewussten militärischen Aktion wurde, wie das Heinz Kahl in seiner Obertshausener Chronik annimmt. Die Befundlage steht dem entgegen, so dass wir diese Vorstellungen in der Tat nur „in der Phantasie“ „an uns vorübergleiten lassen“ könnten 12). Mittlerweile sind die Grundmauern der „Burg im Hain“ rekonstruiert und in eine Grünanlage eingebettet13), eine kleine „Reise ins Mittelalter“ ist somit auch in Obertshausen möglich.
Anmerkungen:
1) HB, 18.11.1966
2) H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 17f.
3) vgl. K. Nahrgang, Die Turmburg Obertshausen, S. 305ff.
4) FAZ , 22.11.1974
5) StAOH, II/1/-/8
6) OP, 3.10.1985
7) H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 20
8) D Göldner/K. Ulrich, Die.· Turmburg „Burg im Hain“ bei Obertshausen, S. 250ff.
9) H. Göldner/K. Ulrich, Die Turmburg, S. 252ff.
10) H. Göldner/K. Ulrich, Die Tunnburg, S. 254
11) H. Göldner/K. Ulrich, Die Turmburg , S. 254
12) H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 22
13) H. Göldner/K. Ulrich, Die Turmburg, S. 250
Der Deutsche Orden in Obertshausen und Hausen
Die Vergangenheit macht manchmal durch scheinbare Zufälle auf sich aufmerksam. So auch im Juni 1984, als im Zuge des Brückenbaus für den Ausbau der B 448 im Bereich der Tannemühle in der Rodau ein Grenzstein gefunden und geborgen werden konnte1). Dieser Stein, einige Jahre vorher waren bereits zwei weitere Steine dieser Art ans Tageslicht gekommen, war als Grenzstein für eine Liegenschaft des Deutschherrenordens in die Erde gesetzt worden. Dass es sich um einen Grenzstein dieses Ordens handelt, wird anhand des sogenannten Deutschherrenkreuzes deutlich, in dessen beiden oberen Quadranten die Buchstaben C und F – „Commende Frankfurt“ – sowie in den beiden unteren Quadranten die Jahreszahl 1730 erkennbar ist.
Damit ist ein weiteres Kapitel der Obertshausener Geschichte im Mittelalter und darüber hinaus angerissen, die durch einen aus seiner Tradition her kriegerischen Orden als Grundbesitzer gekennzeichnet ist. Eigentlich zu Schutz und Versorgung christlicher Pilger in Palästina ins Leben gerufen, nahmen die verschiedenen Ritterorden, wichtig waren die Johanniter sowie die – später berüchtigten und verfolgten – Templer. Aus diesen Organisationen, die zunächst mit karitativen Aufgaben betraut, waren, entwickelten sich·mit der Zeit schlagkräftige militärische Verbände, in denen die Ideale des Mönchtums mit denen des Rittertums in Übereinstimmung gebracht werden sollten.
Der Deutsche Orden, der auch als Deutscher Ritter-Orden oder Deutschherren-Orden bekannt ist, wurde zunächst ebenfalls als ein karitativer Orden gegründet, im Jahre 1198 jedoch in einen Ritterorden umgewandelt. Neben kriegerischen Aktivitäten im Palästina der Kreuzzüge wurden dem Orden auch Wirkungsstätten in Europa gefunden, zumal dann, als die Kreuzzugsidee nicht mehr nur im Nahen Osten zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte, sondern auch innerhalb Europas zur Anwendung kam. Vor allem in Osteuropa, genauer im baltischen Bereich, konnte der Deutsche Orden kriegerische Erfolge erzielen, die sich nicht nur in der Christianisierung der dortigen Bevölkerung sondern auch in territorialen Gewinnen für den Orden niederschlugen, dessen Großmeistern es schließlich sogar gelang, einen eigenen Ordensstaat zu gründen2).
Territorien besaß der Deutsche Orden allerdings nicht nur in Nordosteuropa, sondern auch im übrigen Reichsgebiet. Die Territorien des Ordens wurden in Verwaltungseinheiten, die sogenannten Balleien unterteilt, die wiederum in Komtureien oder Commenden aufgegliedert waren. Eine dieser Commenden manifestiert durch ein Ordenshaus befand sich in Frankfurt-Sachsenhausen.3) Das Sachsenhäuser Deutschordenshaus existiert übrigens heute durch die Kriegseinwirkungen bedingt nicht mehr, lediglich die aus dem Jahre 1269 stammende Kirche ist erhalten geblieben.
Die Commende Frankfurt hatte offenbar eine recht hohe Bedeutung, was sich anhand der für eine durchschnittliche Komturei seltenen Häufung von zusätzlichen Ämtern und Amtsträgern erschließen lässt. Sie gehörte zur Ballei Franken, die sozusagen das Kernstück der im deutschen Raum gelegenen Verwaltungsbezirke des Ordens darstellte.
Die Liegenschaften des Deutschen Ordens waren im vierzehnten Jahrhundert im Raum Obertshausen/Hausen recht ansehnlich. So verliehen -bestätigt durch eine Urkunde vom 24. Februar des Jahres 1328 – Philipp von Falkenstein-Münzenberg und seine Tochter Bertha dem Frankfurter Komtur – also dem Vorsteher der Commende Bruder Kreft ihren, Grätenwald genannten, Wald. Dafür wurde ihnen die Abhaltung eines Jahrgedächtnisses zugesagt4). Inwieweit bei dieser Überlassung auch verwandtschaftliche Verhältnisse eine Rolle gespielt haben oder ob es sich allein um eine Stiftung aus dem frommen Wunsch heraus gehandelt haben mag, sich für das jenseitige Leben bzw. das Jüngste Gericht Pluspunkte zu verschaffen, ist unklar.
Sicher jedoch ist, dass der Deutsche Orden mit dem „Gräfenwald“ seinen größten Besitzstand in der Hausener Gemarkung hatte. Allerdings ging der Gräfenwald offenbar erst durch den Verzicht des Rheingrafen Philipp zu Neuenbaumberg endgültig in den Besitz des Deutschordenshauses Frankfurt über, zumindest existiert eine diesbezüglich am 27. August 1342 ausgestellte, Urkunde. Um diesen Grätenwald lagen 59 Morgen an Wiesen, die im Jahre 1485 von der Frankfurter Kommende für eine lediglich – der Ertrag der Wiesen lag in den folgenden Jahren wesentlich höher – 11 Gulden betragende Summe an die Gemeinde Hausen in Erbleihe gegeben wurden.
Bereits 1316 hatten der Frankfurter Bürger Wigand Kalinhuser und seine Ehefrau Kunegund dem Deutschordenshaus Frankfurt quasi zur Ausstattung ihres dort aufgenommenen Sohnes Wigand zwei Hufe und einen Hof in Hausen übertragen. In Hausen besaß der Orden infolge von Schenkungen und Erwerbungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Fläche von 252 Morgen, 35 Ruten und 93 Schuhen, also das Gebiet des Grätenwaldes mit zugehörigen Wiesen5).
Von dem Obertshausener Heyle Liben6) erwarb die Frankfurter Kommende des Deutschordens im Jahre 1366 um 36 Pfund Heller 3 Achtel ewiger Korngülte. Die entsprechenden Äcker, auf denen diese Gülte lagen, wurden in späterer Zeit um weitere Erwerbungen des Ordens ergänzt, bis zum Jahre 1765 war der Besitz des Ordens auf 41 Morgen angewachsen. Den Beschreibungen nach waren die Äcker von minderer Qualität, der Boden war sandig7).
Der Obertshausener Grundbesitz des Deutschordens scheint, wenn man die Ausführungen von Otto Lechens berücksichtigt8), im 18. Jahrhundert noch erheblich an Umfang zugenommen zu haben. Im Jahre 1780 betrug dieser 124 Morgen Feld, wovon das meiste in Erbleihe gegeben war. Gerade diese Regelung, die die Rechte der Pächter erheblich einschränkte, führte zu Rechtsstreitigkeiten über die Besitzverhältnisse des Deutschordens in Obertshausen. Am 28. März 1792 wurde ein Vergleich zwischen der Hochfürstlich Hoch- und Deutschmeisterischen Commende zu Frankfurt und den Obertshausener Hauptpächtern Schultheiß Kaspar Winter, Martin Rackensberger und Kaspar Becker geschlossen. Die drei Obertshausener nahmen in ihrer Beschwerde überdies die Interessen von vierzig weiteren Pächtern wahr.
Die Obertshausener waren insofern die Glücklicheren, weil ihre Auffassung, die in Erbpacht vergebenen Flächen seien in Eigentum übergegangen, bestätigt wurde. Die Rechte des Deutschordens wurden durch die Pflichtabgabe von 13 Maltern Korn wahrgenommen, die die neuen Besitzer zu erbringen hatten. Überdies standen aufgrund des Schiedsspruches auch der Bieberer Pfarrei jährlich zwei Malter und zwei Simmern Korn zu, wie auch der den Gräfenwald beaufsichtigende Förster die gleiche Menge an Getreideabgaben zu erhalten hatte. Diese Regelung wurde durch den Hochgräflich-Schönborn’schen Amtsverwalter bestätigt9).
Immer wieder gab es unterschiedliche Auffassungen darüber, inwieweit die Pacht zu hoch angesetzt sei, bzw. wie schlecht die Erträge des verpachteten Landes seien. Diese Streitigkeiten sind sogar bis zum Ende des Deutschordens nachweisbar und ziehen sich sogar über das Ende des Ordens, das im Jahre 1809 besiegelt wurde hinaus, wobei zu vermuten steht, dass die Rechtsnachfolger des Deutschordens in die Pflicht genommen wurden.
Die größte zusammenhängende Fläche, die der Deutsche Orden im Gebiet des heutigen Obertshausen in Besitz hatte, war das – auf Hausener Gemarkung gelegene Gräfenwäldchen (auch als Grafenwäldchen bzw. Gräbenwäldchen bezeichnet). Die Fläche dieses Gebietes zum Zeitpunkt seiner Schenkung an den Orden lässt sich anhand der vorhandenen Urkunden nicht ermitteln. Die ungefähren Grenzen dieser Liegenschaft lassen sich jedoch erschließen. Demnach wurde das Wäldchen im Norden durch den ursprünglichen Lauf des Bauerbaches begrenzt, im Osten war die Rodau der natürlich vorgegebene Grenzverlauf. 1810 allerdings wurden der Weiskircher Gemeindewald und die Tannenmühle als Ostgrenze angegeben. Im Süden erstreckte sich das Gräfenwäldchen bis an die Weiskirchener Gemarkungsgrenze und im Westen bis an das Häuser Feld.10)
Die Flächenangaben schwanken zwischen 300 Morgen und 285 Morgen mit 59 Morgen „sehr schlechter“ Wiesenfläche. Die erste nachweisbare – und durch Unterlagen belegbare – Vermessung geht auf das Jahr 1731 zurück. Dieser Messung nach betrug die Fläche des Wäldchens 121,5 Morgen und 26 Ruten Wald sowie 40,25 Morgen und 4 Ruten Wiesen, was einer Gesamtfläche von 161,75 Morgen und 30 Ruten entspräche. Sollten die Angaben für die älteren Zeiten nicht nur Vermutungen darstellen, hätte sich die Fläche des Grätenwäldchens beinahe halbiert.
Dabei war das Gräfenwäldchen keineswegs eine landwirtschaftlich hochwertig einzuschätzende Fläche. Aus diesem Grunde wurden nach der Sequestrierung – dem Übergang von Ordensbesitz in den der öffentlichen Hand – im Jahre 1809 Überlegungen einen möglichen Verkauf betreffend angestellt. Schuld an den negativen Bodenverhältnissen waren einerseits die natürlich vorgegebenen Bedingungen, der gesamte Rodgau war ja eine keineswegs landwirtschaftlich sehr ergiebige Region, andererseits die Überbeanspruchung, die dem Wäldchen durch die Dauernutzung zugefügt worden war. Die Form der Nutzung war – den Verhältnissen entsprechend – die Waldweidewirtschaft. Die Rechte hierfür lagen nicht nur bei den Dörfern Hausen und Obertshausen, sondern auch bei Weiskirchen, Rembrücken und Klein-Auheim.
Bereits weiter oben klang an, dass der Deutsche Orden zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts „enteignet“ und de facto aufgelöst wurde. Der Hintergrund für diese Entwicklung ist im Aufstieg Napoleons zu suchen, der die ihm ergebenen Fürsten des Rheinbundes zu belohnen suchte. Ein Opfer dieser Politik, die einer Zusammenfassung der Kräfte gleichkam, war unter anderem auch der Deutsche Orden. Im Obertshausener Raum war es der Fürst von Isenburg, der offenbar aufgrund seiner guten Beziehungen zu Napoleon – Besitzer der Ordens Liegenschaften wurde.11)
Allerdings wurde der neuerworbene Besitz, man war offenbar über die schlechte Qualität des Gebietes bestens orientiert, bereits sehr früh an ortsansässige Bauern verkauft. Ursprünglich hatte in der Gemeinde Hausen die Vorstellung geherrscht, den ehemaligen Deutschordensbesitz direkt als Gemeindeeigentum zu kaufen, aufgrund der schlechten Finanzsituation des Ortes wurde der Gedanke jedoch fallengelassen und dem Direktverkauf an einzelne Bauern zugestimmt.12)
Am 27. Oktober des Jahres 1811 wurde durch die Amtsdirektion der Fürstlich-Isenburgischen Verwaltung in Heusenstamm der Kaufbrief ausgefertigt, 13) durch den 26 Bauern in den Genuss kamen, Eigentümer der ehemaligen Deutschordensliegenschaften zu werden, wofür sie 5044 Gulden und 40 Kreuzer bezahlen mussten. Da die „Ersteigerer“ zwar zur wohlhabenden Bevölkerung des Ortes gehörten aber dennoch nicht über großen Bargeldbesitz verfügten, erfolgte die Zahlung in Raten, wobei die Gemeinde in Vorlage trat. Da es Zahlungsverzögerungen gegeben hatte, wurden mit der letzten Rate sogar noch Zinsen in der Höhe von 281 Gulden erhoben- ein recht schmerzlicher Betrag.14)
Die Verteilung der Grundstücke unter die hoffnungsvollen Neubesitzer wurde aufgrund von Vermessungen unter dem von der fürstlichen Rentkammern beauftragten Geometer Müller aus Stockstadt vorgenommen. Ihm zur Seite standen Landvermesser, die von Beschworenen – in der Regel Mitgliedern des jeweiligen Ortsgerichtes mit dem Schultheißen an der Spitze – unterstützt, wahrscheinlich also kontrolliert wurden.
Die Aufteilung unter die Hausener Käufer erfolgte nach der Vorgabe einer grundsätzlichen Gleichbehandlung der Käufer. Nach Möglichkeit wurde also aus jeder der verschiedenen Lagen bzw. Bodenqualitäten gleichmäßig an die Käufer verteilt. Dass es dabei trotz aller Sorgfalt zu Streitigkeiten kam, liegt auf der Hand, diese scheinen allerdings schnell beigelegt worden zu sein, so dass keine nachhaltige Beeinträchtigung des Dorffriedens eingetreten sein dürfte.
Nach Beendigung der Vermessungsvorgänge aber bevor er noch offene Fragen mit dem Schultheißen Komo in Hausen besprechen konnte, starb Müller übrigens. Ein weiterer Hauch von Mysteriosität liegt allerdings über dem ehemaligen Deutschordensbesitz Gräfenwäldchen. Die endgütige Besitzbestätigung für die neuen Eigentümer des Wäldchens – niedergeschrieben im sogenannten Lagerbuch 15) – ergaben, dass nur die Verteilung von 248 Morgen und 45 Ruten nachgewiesen werden konnte. Die sich ergebende Differenz von rund 4 Morgen lässt sich zunächst nur schwer erklären, wird allerdings dann deutlicher, wenn die Angabe des Lagerbuches, dass das bei der Verteilung übriggebliebene Stück von Peter Schmelz ersteigert wurde, zutrifft. Der Deutsche Orden hatte damit allerdings nichts mehr zu tun.
Anmerkungen:
1) HB, 21.5.1984
2) Taschenlexikon Geschichte, Bd. 2, S. 42
3) K. Demandt, die Geschichte des Landes Hessen, S. 137
4) A. Niedermeyer, Die Deutsch-Ordens-Commende Frankfurt am Main, S. 117f.
5) A. Niedermeyer, Die Duetsch-Ordens-Commende, S. 118
6) nach der bei H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S 26 überlieferten Schreibweise Heyle Liben
7) A. Niedermeyer, Die Deutsch-Ordens-Commende, S. 117
8) vgl. O. Lechens, Der Gräfenwald, S. 42
9) vgl. hierzu und zu Folgendem O. Lechens, Der Gräfenwald, S. 43f.
10) O. Lechens, Der Gräfenwald, S. 45ff.
11) K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 564
12) GPH, 15.1.1969
13) StAH, I/9/1
14) vgl. O. Lechens, Das Gräfenwäldchen, S. 57ff.
15) StAH, IX/1/2
Die „Bieger Mark“
Menschliches Leben in einer Gemeinschaft bedingt die Formulierung von Regeln, nach denen das Zusammenleben gestaltet wird. Je komplizierter die Struktur der jeweiligen Gruppe ist, desto komplizierter gestalten sich auch die Regeln des Zusammenlebens. Im Laufe der menschlichen Geschichte sind also auch die Erfordernisse an ein Regelsystem gewachsen.
Einen besonderen Aspekt dieses Systems mussten die Menschen mit ihrer Seßhaftwerdung bewältigen, die Frage nach dem Besitz und der Einteilung des Landes, auf und von dem sie lebten. Die Anfänge einer „Verwaltung“ reichen demnach in sehr frühe Zeit zurück, als es darum ging, nicht nur in einem Dorf sondern in mehreren Siedlungen für die Verteilung von Boden und die dazugehörigen Nutzungsrechte verbindliche Vorschriften zu treffen.
Mit den Zeiten änderten sich allerdings auch die Bezeichnungen für solche „Verwaltungsbezirke“. Alte Formen hatten dabei oft eine erstaunliche Langlebigkeit. Eine solche Form ist die Mark, die allerdings keine fest umrissene Größe darstellt, sondern eine Bezeichnung für unterschiedliche Gegebenheiten ist. Zum einen konnte darunter eine oder die Zusammenfassung mehrerer Grafschaften verstanden werden, zum anderen kann es sich bei einer Mark um die Region handeln, in der die gemeinschaftliche Nutzung von Wald und Weide gemeinsam verwaltet wird. Diese Form des Markbegriffes leitet sich von dem Wort „marca“ Wohn- und Nutzungsbereich ab. 1)
Ob diese Form der Mark bis in die germanische Frühzeit zurückreicht oder erst eine Erfindung der Dörfer des hohen Mittelalters darstellt, mag dahingestellt bleiben, fest steht zumindest, dass diese Form gemeinsamen Nutzens eines Geländes eine hohe Effizienz aufgewiesen haben muss, denn sonst hätte sie sich kaum so lange gehalten. Bis zum 18. Jahrhundert bestanden innerhalb der Zent Steinheim fünf Marken.
Eine dieser Marken war die „Bieger Mark“, die auch „Bieberer Mark“ genannt wurde. Obertshausen und Hausen gehörten zu dieser Mark, die nach einem Herrn oder nach einer Frau von Biegern genannt wurde, da die entsprechenden Ortschaften – neben Hausen und Obertshausen waren dies Bieber, Offenbach, Bürgel, Rumpenheim, Mühlheim, Dietesheim, Lämmerspiel, Heusenstamm und Rembrücken – die Markwaldungen aus dem Besitz derer von Bieger im Jahre 1380 zum Eigentum erhielten. Mit dieser Überlassung erklärt sie der Name Bieger Mark. Da jedoch das Markgericht in der Ortschaft Bieber unter der Linde gehalten wurde, bürgerte sich auch die Bezeichnung Bebraer nach der alten Namenform Biebers bzw. Bieberer Mark für diesen Bezirk ein. 2)
Auch die Bieger oder Bieberer Mark war eine Art „Wirtschaftsgenossenschaft“, die die Nutzung der gemeinsamen Waldungen und Weiden festlegte. Zu den Marken gehörte der Markboden, also die zur Mark gehörige Nutzfläche, was überdies auch die Nutzung der verschiedenen Gewässer einschloss, also Tränke, Wooge sowie die natürlichen stehenden und fließenden Gewässer. Der Nutzungsumfang der Mark wurde als Allmendea‘ bezeichnet. Das oben erwähnte Markgericht war für die Fragen zuständig, die das Markeneigentum betrafen, sein Wirkungsbereich erstreckte sich also über Wald, Feld, die Gewässer sowie etwaige weitere Nutzungsrechte.
So hieß es, dass „walt, waßer und weide den merckern zu rechtlichem eigen“ gehörte „und han die von nimand zu lehen, weder von Kanige adir von Kaisern, nach von Burgern odir stedten, dan sie ihr recht eigen ist“. Die Ressourcen des Bodens gehörten also demnach den Markbewohnern, ohne dass es sich bei diesen Nutzungsrechten um ein Lehen handelte, das ja zumindest theoretisch immer wieder vom Lehnsherrn hätte zurückgefordert werden können. 4)
Das Recht der Teilhabe an dieser Form einer Wirtschaftsgenossenschaft hatte jeder, der im Besitz von 32 Morgen Land war und darüber hinaus ein geborener Märker war. Der entsprechende Bauer musste ein Märkerhaus bewohnen, ein Haus, das nicht nur im Gebiet der Mark stehen, sondern auch aus Holz errichtet sein musste, das aus den Waldbeständen der Mark stammte. Die Teilhabe an der Markgenossenschaft brachte für den Einzelnen natürlich Vorteile mit sich – ansonsten hätte diese Form der wirtschaftlichen Genossenschaft kaum Erfolg gehabt. Den Angehörigen der Markgenossenschaft war es erlaubt, ohne Genehmigung in der Rodau zu fischen. Dem Märker war es überdies gestattet, zweiunddreißig Schafe und ebenso viele Schweine vom Dorfhirten zur Fütterung in den Wald treiben zu lassen.5)
Die Gegebenheiten blieben allerdings nicht konstant. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Zahl der Tiere eingeschränkt. Andererseits musste jeder Ortsschäfer ab dieser Zeit einen Beitrag von vier Pfund Frankfurter Währung an die Markkasse entrichten. Der Einschlag von Bauholz war nicht ohne weiteres gestattet, diejenigen, die Bauholz benötigten hatten darum beim Markgericht nachzusuchen. Bei Zuwiderhandlung – bei Forstfrevel also – wurden über den Übeltäter die als Rugen bezeichneten Strafen verhängt.
Die harte Disziplin, die das Markgericht durchzusetzen bemüht war, ist auch heute noch anhand der strengen Rechtssatzungen des Gerichts nachzuvollziehen, wie dies hier etwa in einem Abschnitt über den Bau bzw. die Instandsetzung eines Hauses deutlich wird:
„Hir wijsen auch, welcher mercker bauen wil, der sal laub bitten; gibbyd man ihme laube, so mag er zu walde geen und mag hauwen buweholze, also daz iß czijmmerlich sy, und sal iz binne eym mande uffzlahen und bynne eynre jar fryst decken; wer daz nit endede, der hette der mercker recht gebrochen“.6)
In einer freien Übersetzung würde ich diesen Absatz wie folgt übertragen: „Wir legen fest, dass derjenige Märker, welcher bauen will, um Erlaubnis nachsuchen soll. Wird die Erlaubnis erteilt, möge er in den Wald gehen und das nötige Bauholz schlagen. Dieses muss innerhalb eines Monats aus dem Wald geschafft und innerhalb eines Jahres verbaut werden. Sollte das nicht erfolgen, hat der Betreffende das Markrecht gebrochen,“ was natürlich Strafmaßnahmen nach sich zog.
Auf den ersten Blick mag dieser Abschnitt des Markrechtes nicht einsichtig erscheinen, selbst nach der Übertragung in unser Deutsch will sich ein Sinn nicht automatisch ergeben. Bei Vergegenwärtigung der damaligen Situation allerdings bietet sich eine einleuchtende Erklärung an. Der Wald und damit das Holz innerhalb der Biegermark war Gemeineigentum, womit auch eine gemeinsame Nutznießung verbunden war – allerdings in engen Grenzen. Der einzelne Märker durfte Bauholz schlagen, jedoch nur für den Eigenbedarf. Wer mehr Holz schlug, als er innerhalb von Jahresfrist verbauen konnte, hatte mit dem Holz offenbar anderes – vielleicht einen Verkauf -vor. Damit sich nun Einzelne nicht solcherart auf Kosten der Allgemeinheit bereicherten, wurden Vorschriften wie diese erlassen, was andererseits einen indirekten Hinweis darauf darstellt, dass Aktionen, wie der Verkauf auf eigene Rechnung, immer wieder versucht worden sein müssen. Natürlich erfolgte die Organisation der Mark nicht nach einem urdemokratischen Schema. Jeder Mark stand ein Amtmann vor, der in dem sogenannten Markmeister einen Mitarbeiter hatte, dem in erster Linie die Aufsicht über die einzelnen Forstleute oblag. Weiterhin hatte der Markmeister die Markgerichte vorzubereiten. Der ebenfalls dem Amtmann direkt unterstellte Oberfaut stand der Beamtenschaft vor und war in erster Linie mit dem Schutz der Mark nach außen hin betraut. Im Inneren bestand die Aufgabe des Oberfaut darin, zusammen mit dem Markmeister eventuelle Markfrevel zu verhüten und die Markbeschlüsse durchzusetzen bzw. durchzuführen.7)
Trotz oben erwähnter Einschränkungen war die Markgemeinschaft nicht hilflos der Willkür eines Amtmannes ausgeliefert, was dem Wesen einer solchen Genossenschaft auch zutiefst widersprochen hätte. Es gab in der Tat ein demokratisches Element, das Markgericht oder Märker-Ding. Dieses wurde durch die Kirchenglocken an bestimmten Tagen des Jahres einberufen. Zur Teilnahme berechtigt waren alle gewerten Märker, Repräsentanten der einzelnen Dorfgemeinschaften, die in jeder Ortschaft der Mark also auch Hausen und Obertshausen – gewählt wurden.
Die Entsendung von Dorfvertretern an das Markgericht, die sozusagen als eine Art Schöffen fungierten, stellt eine Form von Demokratie dar, die nach dem Prinzip der Selbstverwaltung funktionierte. Das Markgericht war allerdings in erster Linie für größere Fälle zuständig. Im Fall lokaler Unstimmigkeiten wurde das sogenannte Hub-Gerichte8) herangezogen. Dieses war für Streitigkeiten in kleinerem Rahmen zuständig, bei denen in der Regel die sogenannten Hübner die Streitparteien waren. Dem Hub-Gericht des Hausener Guts, das über neun Huben besaß, gehörten der Obertshausener Schultheiß Jost Jeger und sieben weitere Schöffen an.9)
Die Hube- andernorts auch Hufe genannt – stellte eine Wirtschaftseinheit dar, die sich aus einer Hofstelle und dem zugehörigen Ackerland nebst Nutzungsrechten an der Allmende zusammensetzte.10)
Regelte das·Hub-Gericht sozusagen die „Fragen des täglichen (Zusammen-)Lebens“, waren die Kompetenzen des Markgerichtes, wie oben bereits angesprochen, weiter gespannt. Das Markgericht hatte die Überwachung und Durchsetzung der Markordnung zur Aufgabe, weshalb es zweimal im Jahr zusammengerufen wurde. Sicherlich verweist der Gerichtsort unter freiem Himmel bei der Gerichtslinde in Bieber auf altüberlieferte germanische Traditionen, die Problematik, auch die Einrichtung von Marken in diese älteren Zeiten zurückzudatieren, wurde oben bereits angesprochen. Hier steht zu vermuten, dass sich Älteres mit Jüngerem vermischte, eine unhinterfragte Rückprojektion mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Gegebenheiten in germanische Zeit mithin unzulässig ist.
Sicher sind jedoch die Verhältnisse für das Markgericht in historischer Zeit. Die Versammlungstage waren die Dienstage nach Walpurgis bzw. Dreikönig. Der Gerichtstag wurde durch die Bieberer Kirchenglocken eingeläutet. Während der Markmeister und die berufenen Schöffen unter der Linde Platz nahmen, versammelten sich die Märker an den Stellen, die ihnen nach ihrem Herkunftsort zugeschrieben worden waren. Das Gericht wurde mit einer Friedensformel eröffnet, was in der Tat an germanische Überlieferung gemahnt. Anschließend wurde die Rechtssatzung – das sogenannte Weistum – der Mark verlesen, dessen älteste uns bekannte Fixierung aus dem Jahre 1385 stammt.11)
Die Einrichtung der Bieger Mark kann als ein genossenschaftlich orientiertes Gebilde gesehen werden, das in gewissem – allerdings sehr weit gefassten – Sinne auch durchaus demokratische Züge beinhaltete, jedoch kam es hierbei kaum auf die Verwirklichung politischer Demokratie als vielmehr eine optimale Lösung wirtschaftlicher Probleme und Gegebenheiten an. Die effektive Arbeit dieser Institution konnte nicht verhindern, dass die Bedeutung der Bieger Mark im Laufe der historischen Entwicklung, die auf ökonomischer Ebene durch das vermehrte Aufkommen der Geldwirtschaft, auf politischer durch die Durchsetzung absolutistischer Ideale gekennzeichnet wurde, zurückging.
Der Niedergang der Bieger Mark vollzog sich allmählich. Dies wird allein anhand der Holzverwertung durch die Märker deutlich. Wurde der Einschlag des Holzes für Bau- und Brennzwecke – abgesehen von der oben erwähnten Einschränkung – zunächst den einzelnen Märkern überlassen erfolgte später die Zuteilung des Holzes durch den Obermärker oder Markmeister. Dabei nahm die zugeteilte Holzmenge deutlich ab. Um das Jahr 1750 erhielt jeder Märker noch zwei Klafter Holz zugeteilt, fünfzig Jahre später war diese Menge auf etwa ein Viertel gesunken.12)
Diese Entwicklung ebenso wie der versuchte Zugriff durch die Schönborner Herren, die als Mitmärker Sitz und Stimme im Märkerding innehatten und ihre Eigeninteressen durchzusetzen suchten, führte dazu, dass die Verwaltung des Markgebietes immer weniger in den alten Bahnen verlief. Der Wald wurde immer stärker ausgebeutet, ein Großteil des geschlagenen Holzes als Brennholz nach Frankfurt verkauft. Eine ökologische Katastrophe war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Ergebnis dieser menschlichen Eingriffe, in deren Folge Missernten aber auch Teuerungen auftraten.
Traurige Erinnerungen an die einstige Ausdehnung des Waldes sind auch heute noch in Form einiger
Gewannbezeichnungen vorhanden, wie es etwa die Namen Paradieswäldchen, Herrenhecken, Grafenwäldchen oder Rottstück beweisen.
Die Konsequenz aus dem Niedergang des Markverbandes erfolgte im Jahre 1819: Die Bieger Mark wurde aufgelöst, der Markgrund nach Kopfzahl der Märker auf die Markorte verteilt. Vom Markeigentum wurden die Steinbrüche auf dem Bieberer Berg und bei Dietesheim sowie ein Auengrundstück zwischen Offenbach und Bürgel verkauft. Von den eingenommenen 14.764 Gulden wurden die Verwaltungskosten, die bei der Auflösung des Markgebildes entstanden waren, bestritten, der Rest von 7854 Gulden wurde an die einzelnen Markgemeinden mit der Aufforderung verteilt, dieses Geld für Waldkultur also Wiederaufforstungsmaßnahmen- zu verwenden.13)
Anmerkungen:
1) E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 345
2) vgl. H. Kahl, Obertshausen zwischen Einst und Jetzt, S. 33f.
3) E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 17f.
4) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 93
5) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 33f.
6) zitiert nach: H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 34
7) GPH, 31.12.1968
8) vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 35
9) H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 35
10) E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 234f.
11) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 93f.
12) J. Seuffert, Unser Hausen, S. 93
13) J. Seuffert, Unser Hausen, S. 94
Die Rodau und ihre Mühlen
Eine der natürlichen Voraussetzungen für das Leben auf der Erde generell und für menschliches Leben im Besonderen ist Wasser und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen besteht der menschliche Körper zu ungefähr 90% aus dieser Flüssigkeit, ist also auf die ständige Zufuhr dieses Stoffes angewiesen, zum anderen suchten die Menschen aller Zeiten eben aufgrund dieser Abhängigkeit ihre Siedlungsplätze in der Nähe von Wasserläufen anzulegen.
Aus diesem Grund ist es kaum verwunderlich, dass die Gründung von Hausen sich am Lauf eines Fließgewässers, der Rodau, abspielte. Die Rodau entspringt bei Urberach und mündet bei Mühlheim in den Main, auf ihrem Lauf durchzieht sie ein Gebiet, das im Laufe menschlicher Siedlungstätigkeit zum Ort bzw. heutigen Stadtteil Hausen geworden ist. Seitengewässer dieses Baches sind der vom Hengster kommende Bauerbach und der in der Fasanerie entspringende Schwarzbach.1)
Im Laufe der Entwicklung des Ortes Hausen wurde der Verlauf der Rodau mehrmals verlegt. In ihrem ursprünglichen – das heißt durch menschlichen Einfluss nicht veränderten – Bett fließend betrieb sie die Untermühle, um 1500 wurde ihr Lauf durch die Errichtung eines künstlichen Dammes verändert, so dass sie eine zweite Mühle, die Obermühle, antreiben konnte.
Spätere Veränderungen des Rodaulaufes dienten nicht mehr ihrer Nutzung als Energiequelle sondern der Vermeidung eines Brückenbaus. Diese Regulierung führte im Gegenteil sogar dazu, dass die Obermühle in ihrer Funktion aufgegeben werden musste. Eine weitere Fließveränderung erfolgte im Rahmen der „Flurbereinigung“ in den frühen Sechziger Jahren dieses Jahrhunderts. Anhand dieser Eingriffe in das Bett des Baches wird bereits deutlich, dass die Rodau sehr früh mehr als nur der Versorgung mit Trinkwasser diente, sie wurde in den Dienst der Technik gestellt.
Mit der kulturell-technologischen Aufwärtsentwicklung der Menschen verbunden war eine Tendenz, die in der Ausnutzung von Energie bestand, die über die menschliche Kraft hinausging. Ein deutliches Beispiel hierfür ist die Entwicklung des Mühlenwesens in Verbindung mit der Verarbeitung von Getreide zu Mehl. Waren es hier zunächst einfache Handmühlen, die aus dem sogenannten Unterlieger und dem Reiter bestanden, wobei sich auf dem Unterlieger das Getreide befand, dass mit Hilfe des Reiters mühsam zerquetscht wurde, bedeutete die Erfindung der Drehmühle einen deutlichen Fortschritt. Beiden Mühlenarten gemeinsam ist jedoch, dass sie ausschließlich mit menschlicher Energie betrieben werden, wobei einschränkend gesagt werden muss, dass es in römischer Zeit bereits Drehmühlen gab, die durch die Kraft von Tieren bewegt wurden.2)
Erst mit der Nutzung der Energie in der Natur trat aber in entscheidender Fortschritt ein. Wind- und Wassermühlen erhöhten die Mahlleistung von Getreide erheblich. Überdies fand insbesondere das Prinzip der wassergetriebenen Version der Mühle nicht nur im Bereich des Getreidemahlens Anwendung, sondern wurde auf vielen anderen Gebieten genutzt – bis hin zur Variation als Hammerwerk in der Metallverarbeitung. Während die Windmühle naturgemäß in Gebieten Verwendung fand, in denen mit ständigen Luftbewegungen zu rechnen war – insbesondere also an den Küstengebieten zum Einsatz kam, fand die Wassermühle eine weitere Verbreitung. Unabdingbar war allerdings der Standort an einem Fließgewässer. In unserer Region bot der Verlauf der Rodau die Möglichkeit, Mühlen mit Wasserkraft zu betreiben. Die vorhandenen Möglichkeiten wurden auch ausgenutzt.
In Hausen gab es in früheren Zeiten zwei Mühlen, die Ober- und die Untermühle. Die Untermühle ist die ältere der beiden Hausener Mühlen und wurde bereits im Jahre 1352 urkundlich erwähnt.3) Dies erfolgte anlässlich ihres Verkaufs von Kraft von Langsdorf an das Kloster Seligenstadt. Sicherlich ist die urkundliche Ersterwähnung jedoch nicht mit der Erstellung dieser Mühle identisch, eine zu verkaufende Mühle muss ja bereits erbaut worden sein, wahrscheinlich datiert die Untermühle aber sogar bereits ins 12. Jahrhundert, das wäre ein Zeitraum von ungefähr zweihundert Jahren des Betriebs bevor eine schriftliche Erwähnung der Mühle stattfand. Wenn noch einmal an die Erhaltungs- und Oberlieferungsbedingungen mittelalterlicher Schriftstücke und Urkunden erinnert werden darf, ist allerdings das Fehlen eines früheren schriftlichen Belegs für die Existenz der Mühle auch nicht so überraschend.
Die Mühle war natürlich Eigentum des jeweiligen Grundherrn, jedoch vergab dieser die Nutzungs- und Besitzrechte im Erblehen an einen Müller weiter. Dieser Beliehene auch als Beständer bezeichnet – durfte die Mühle nicht nur zu seinen Lebzeiten nutzen, sondern sogar an seine Erben weitergeben. Bedingung war allerdings, dass der fällige Pachtzins weiterhin entrichtet wurde. Sollte der Beständer die entsprechende Summe jedoch drei Jahre hintereinander schuldig geblieben sein, war der Grundbesitzer berechtigt, die Besitzrechte einzuziehen und an einen anderen Beständer zu vergeben.
Der jährliche Pachtzins für den Betrieb der Untermühle wurde zur Zeit der Schönborner Herrschaft in Naturalien bezahlt. Er betrug 9 Malter, 3 Simmer, 1 Kumpf und 3 Gescheid Korn. Die entsprechende Menge war bei der Schönbornschen Kellerei in Heusenstamm abzuliefern.
über den Pachtzins hinaus war der Beständer der Mühle frei von Frondiensten, allerdings war er dazu verpflichtet, Dienstgeld und Bede zu entrichten. Hinterließ der Beständer keine Erben, die hach seinem Tod die Mühle weiterführen konnten, waren die Grundherren natürlich berechtigt, die Nutzungsrechte an der Mühle an einen neuen Beständer zu vergeben.4)
Für das Jahr 1576 weist das Steinheimer Jurisdiktionalbuch als Beständer der Untermühle einen gewissen Hieronymus Glöckner nach. Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges ist eine Familie Arnold als Nutzer der Untermühle nachweisbar. In Händen dieser Müllerfamilie lagen die Mühlenrechte bis in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts.
Durch Einheirat in die Familie Arnold wurde ein gewisser Johann Messer Untermüller, die Familie Messer betrieb die Untermühle bis in das Jahr 1850. Offenbar betrieben die Messermüller ihr Handwerk gut und eindrucksvoll, denn auf den Familiennamen Messer geht die inoffizielle Bezeichnung der Untermühle als Messermühle zurück.5)
Die Konstanz des Mühlenbetriebes in den Händen der beiden Müllerfamilien Arnold und Messer fand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Ende. Der Betreiber der Untermühle wechselte mehrfach und die Nutzungsrechte gelangten über Johann Becker, Peter Bröder und Martin Schmierle in die Hände der Familie Ricker aus Weiskirchen. Wie sein Vorgänger Johann Messer gelangte auch der letzte Untermüller Peter Anton Schilp durch Heirat in den Besitz der Mühlenrechte. Seine Frau war eine Verwandte des vorherigen Untermüllers Johann Peter Ricker. Mit Peter Anton Schilp kam auch das Ende der Untermühle, die jedoch seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr in Gebrauch genommen wurde.
Hausen, der „Zweimühlenort“, hatte seit dem 15. Jahrhundert zusätzlich zur Untermühle eine zweite, die sogenannte Obermühle. Das Besondere an dieser Mühle ist neben ihrer Lage – mitten im Dorf vor allem die Tatsache, dass, um ihren Betrieb zu gewährleisten, der Lauf der Rodau geändert werden musste. Der ursprüngliche Verlauf der Rodau wurde nach Westen hin korrigiert, die Änderung des Flussverlaufes ist seit 1498 beurkundet. 6)
Das Jurisdiktionalbuch von Steinheim erwähnt für das Jahr 1576 einen Klas Hofmann als Obermüller. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wird ein Nikolaus Winter als Nutzer der Mühlenrechte genannt. Ihm folgten Vater und Sohn Andreas Guldan. Um das Jahr 1750 erwarb Johann Heinrich Komo die Mühlenrechte. Als Erbe trat sein Sohn Johann Martin Komo die Müllerstelle an, der überdies von 1793 bis 1822 als Schultheiß von Hausen und als letzter Markmeister der Biegermark fungierte. Dessen Sohn Peter Komo jedoch verkaufte die Mühle im Jahre 1835 an einen Frankfurter Müller namens Johann Kasper Ziegler. 7)
Mit dem Verkauf an Ziegler begann eine Zeit wechselnder Besitzverhältnisse an der Obermühle. Die Obermüller wechselten sehr häufig und die Mühle gelangte über Adam Sattler, Johann Graf, Georg Burlein, Ernst Pfalzgraf und Michael Mahler im Jahre 1853 in den Besitz der Firma Spicharz und Nollenberg, unter deren Regie in Offenbach eine Gerberei betrieben wurde. 6)
Den Wünschen der neuen Besitzer entsprechend wurde auch der Verwendungszweck der Obermühle geändert. Diese wurde in eine Lohmühle umgebaut, das heißt, aus Eichenrinde wurde der für den Vorgang des Ledergerbens notwendige Anteil an Lohe aus Eichenrinde gemahlen. Ein gewisser Josef Döbert wurde der erste Lohmüller. Seine Nachfolge trat im Jahre 1875 Franz Jäger aus Hainhausen an, der sie an seinen Sohn – Michael Jäger II. – vererbte, von dem sie auf August Jäger überging.
Auch die Obermühle ist lange nicht mehr in Betrieb.9) Der Mühlradantrieb war ohnehin seit längerem eingestellt worden, aber auch die Weiterverwendung als elektrisch betriebene Mühle, die immerhin nach dem Zweiten Weltkrieg noch erfolgte, ist inzwischen längst aufgegeben worden.
Mit der Einstellung des Mühlenbetriebes der Obermühle endete ein Kapitel der Wirtschaftsgeschichte – nicht nur – unserer Region. Im Zuge des technischen Fortschritts waren kleine Mühlen – seien sie nun wasser- oder windgetrieben gewesen – offenbar ein unbrauchbares Fossil vergangener Zeiten. Erst im Zuge der Besinnung auf den Natur- und Umweltschutz kamen und kommen die alten Weisheiten im Zuge der Zauberformel Dezentralität wieder zu eingeschränkten Ehren, denn natürlich ist es sinnvoller, örtliche Gegebenheiten zur Energieerzeugung bzw. -ausnutzung wahrzunehmen, als Energie über weite . Strecken an den Ort zu transportieren, wo sie gebraucht wird. Allerdings muss sich deutlich vor Augen geführt werden, dass trotz etwa der Nutzung von Windmühlen an den Küsten und auf den Kammlagen von Gebirgen zur Stromerzeugung von einer Renaissance der klassischen Mühlentypen nicht gesprochen werden kann. Diese Epoche ist – auch für unsere Region unwiederbringlich vergangen.
Anmerkungen:
1) GPH, 31.12.1968
2) vgl. F. Klemm, Zur Kulturgeschichte der Technik, S. 39ff.
3) GPH, 25.6.1969
4) vgl. dazu und zum Folgenden J. Seuffert, Unser Hausen, S. 91
5) GPH, 16.6.1970
6) GPH, 31.12.1968
7) GPH, 6.8.1975
8) vgl. J. Seuffert, Die alten Hausener Mühlen, S. 7
9) vgl. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 92